Thriller

Der Mossad und die Russen

Foto: Getty Images / istock

Und dann ist er allein unterwegs. Wieder einmal. Er befiehlt seinem Leibwächter, auf ihn zu warten, während er an den Rand von Washington, D.C. fährt, um dort ein für drei andere tödlich endendes Finale auszufechten. Ein Spaten gibt den Anstoß für die furiose Lösung, die dann nochmals eine komplexe Schleife durch die Politik macht. Und die in einen Fehler mündet, mit dessen Folgen sich Gabriel Allon noch abmühen muss, und zwar in zukünftigen Büchern von Daniel Silva.

Bis dahin hat der amerikanische Bestsellerautor in Der russische Spion mit sicherer Hand einen raffinierten Spannungsbogen aufgebaut, in dem es um einen Schläfer in den höchsten Rängen des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 geht, um Allon, den Chef des Mossad, und sein eingespieltes Team, um falsche Spuren, Attentate, Doppelidentitäten und Täuschungen seitens des russischen Geheimdienstes SWR, der sich skrupelloser KGB-Methoden bedient, und um einen Spion, den Engländer Kim Philby, den vielleicht notorischsten Agenten im Kalten Krieg nach 1945 und mythischsten Überläufer von West nach Ost.

TEMPO Silva versteht sein Erzählhandwerk. Er weiß, wie hier das Tempo zu steigern ist, dort ein Ritardando eingebaut werden muss und wann ein neuer Haken jäh den Fortlauf ändert.

Ein Spannungsbogen um MI6, den Mossad und die Russen.

Stationen sind Städte, die Allon gründlich bis sehr gut kennt: Tel Aviv, London, Washington. Und Wien, wo alles bei Schneefall beginnt. Die Stadt an der Donau ist für Gabriel Allon immer wieder eine schmerzhafte, eine zutiefst deprimierende Erinnerung. Hier wurden im ersten Band aus dem Jahr 2000 – mit dem ihn Silva, bis dahin Fernsehjournalist und Autor eines historischen Spionageromans und zweier anderer Bücher, einst einführte – Allons Sohn Dani und seine erste Frau Leah durch eine Autobombe in die Luft gesprengt. Leah überlebte und wurde zu einem schweren psychiatrischen Pflegefall. Allon selbst erholte sich erst ein knappes Dutzend Bände später davon, verliebte sich neu, heiratete ein zweites Mal, die venezianische Jüdin Chiara, und ist nun zweifacher Vater.

Groß ist Gabriel Allon nicht, knapp 1,70 Meter, schlank bis hager, mit hohen Wangenknochen und intensiv grünen Augen. Mittlerweile sind seine Schläfenhaare grau meliert. Und der Rücken schmerzt infolge zweier gebrochener Rückenwirbel. Allon ist Ziehsohn von Ari Schamron, der Legende des »Dienstes«.

Mit seiner Figur Allon hat der in Detroit geborene und im mittelgroßen Merced in Kalifornien aufgewachsene Lehrersohn Silva, der 1988 zum Judentum konvertierte, eine charismatische Figur geschaffen.

Im Jahr 2012 erinnerte sich Silva, der nach seinen ersten drei recht erfolgreichen Bänden den Journalismus an den Nagel gehängt hatte und sich seither nur noch dem Schreiben widmet, an den Ausklang der zweiten Amtszeit Bill Clintons, als dieser seine Präsidentschaft mit einem letzten, endlich erfolgreichen Anlauf krönen wollte, Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu stiften. Wie wir heute wissen: Auch das war vergeblich. Silva hatte die Idee, in den Mittelpunkt seines nächsten Romans zwei ungleiche Antagonisten zu stellen: auf der einen Seite einen palästinensischen Terroristen, der den Friedensprozess in die Luft sprengen will, auf der anderen einen israelischen Agenten. Lange dachte Silva nach, wie dieser heißen sollte. Und kam schließlich auf das biblische Gabriel mit seiner kraftvollen Symbolik. »Allon«, Eiche, ergab sich dann fast automatisch.

Gabriel Allons Nachname, »Eiche«, ergab sich fast automatisch.

Der Lebenslauf dieser Figur: 1950 in Emek Jizre’el, der Jesreelebene, geboren und aufgewachsen, die Eltern deutsche Juden und Schoa-Überlebende, Gabriels erste Sprache Deutsch, der Vater 1967 als Soldat gefallen, auf der mütterlichen Seite genetisch künstlerisch vorgeprägt – sein Großvater war vor 1933 ein bekannter expressionistischer Maler, der in der Schoa von den Nazis ermordet wurde –, nach dem Militärdienst Aufnahme eines Kunststudiums an der Bezalel Academy, im Spätherbst 1972 erstmals rekrutiert vom Geheimdienst, in den nächsten drei Jahren der effektivste Jäger und Exekutor der Mörder des »Schwarzen September«. Anschließend die nächsten 15 Jahre Kunstrestaurator in Europa, am Längsten in Venedig, und immer wieder Intermezzi als Auftragsmörder für den Mossad. 1991 dann der erste tiefe Einschnitt, der Anschlag auf Frau und Sohn.

AUFTRAGGEBER The Kill Artist hieß dieser erste Thriller mit und um Gabriel Allon – den Titel mag Silva bis heute nicht. Er hätte viel lieber seinen Arbeitstitel beibehalten, »Prince of Fire« (der deutsche Titel war dann von bestechender Belanglosigkeit: Der Auftraggeber). Der Roman wurde ein Bestseller, in den USA und international. Als er mit dem nächsten Buch den Verlag wechselte, musste ihn seine dortige Lektorin erst lange überzeugen, dem Roman eine Fortsetzung zu gönnen, vielleicht eine ganze Gabriel-Allon-Serie zu bestreiten. Silva: »Ich dachte, dass das eine schreckliche Idee war, und sagte es ihr auch.« Wer angesichts des Anti­semitismus in der Welt würde denn schon Bücher über einen Mossad-Agenten lesen, gar kaufen wollen? Silva Jahre später: »Ich lag komplett falsch.« Jeder Band hat sich besser verkauft als der vorangegangene. Bis heute.

BESTSELLER Es ist erstaunlich, welches Niveau Silvas Allon-Reihe hält; mittlerweile ist sie bei Band 19 angekommen, The New Girl ist in diesem Sommer in den USA erschienen. Vor allem, wenn man sie etwa mit fast gleich lang laufenden anderen Thriller-Serien vergleicht. Und wenn man Allon neben deren Helden stellt, beispielsweise neben Jack Reacher, den der in New York lebende Engländer Lee Child als Einzelkämpfer in qualitativ immer heftiger oszillierende, logisch oft wenig zwingende Abenteuer schickt. Oder mit dem Polizisten Harry Bosch in Los Angeles, mit dem Michael Connelly, ein anderer Bestsellerautor, seit der Verfilmung als Pay-TV-Serie inzwischen kaum mehr etwas anzufangen weiß.

Was Silva, der heute in Florida lebt, von diesen und Schreibern solcher Action-Schwarten unterscheidet, ist seine Aversion gegen kurze, abgehackte Sätze, sein Abscheu vor bombastisch pathetischem Zynismus. Und vor pseudo-patriotischen Schwarz-Weiß-Helden, die nach getaner Blut-Arbeit abgefeimt verschwinden wie einst Clint Eastwood am Ende von Sergio Leones Spaghetti-Western Zwei glorreiche Halunken. Vor allem die psychologischen Charakter- und Tiefenzeichnungen, die sensible Wärme, die Skrupel Allons, der »die alten Methoden« liebt, heben Silvas furiose Spionagebücher ab.

Daniel Silva: »Der russische Spion. Ein Gabriel-Allon-Thriller«. Deutsch von Wulf Bergner. HarperCollins, Hamburg 2019, 464 S., 17 €

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