Berlin

Der mit dem Bass spricht

Er presst die Lippen zusammen, zieht die Augenbrauen hoch, wirft den Kopf nach hinten und beugt sich mit Schwung über den karamellbraunen Bass. Wenn Avishai Cohen sein Instrument spielt, ist das nicht einfach nur Musizieren. Es ist Leidenschaft. Wie die, begleitet von Klavier und Schlagzeug, klingt, das haben die Besucher beim Eröffnungskonzert der 26. Jüdischen Kulturtage am Donnerstagabend in der Berliner Synagoge Rykestraße erlebt.

Der israelische Musiker und seine beiden Begleiter, Omri Mor am Klavier und Amir Bresler am Schlagzeug, waren der erste Act aus dem umfangreichen Programm, das nicht nur Berlinern bis zum 26. August einen Einblick in jüdische Musik, Kunst und Kultur geben wird.

Doch bevor Cohen und seine Musiker die Synagoge mit Klängen erfüllten, die man an diesem Ort nicht wirklich oft hört, begrüßte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, die Gäste. Während dieser zehn Tage Kultur würden sich Juden und Nichtjuden wieder näherkommen, sagte der 39-Jährige. Auch der Kulturdezernent der Gemeinde, Jewgenij Gamal, freute sich auf die kommenden Veranstaltungen: »Wir sind eine große Familie«, sagte er. Allerdings sei dieser Austausch von der Beschneidungsdebatte überschattet. Man denke darüber nach, die Koffer, die man vor Jahren ausgepackt habe, wieder zu packen, gab sich Joffe sehr nachdenklich.

Rhythmus Weniger um Politik, dafür mehr um musikalischen Hochgenuss, kümmerte sich während des fast zweistündigen Konzerts Cohen, der 1970 im nordisraelischen Kibbuz Kabri das Licht der Welt erblickte. Seine Familie, die, wie er während der kurzen Ansprachen an das Publikum erwähnte, über Spanien und Griechenland nach Israel kam, hat ihn in seiner Kunst beeinflusst. So verbindet der 42-Jährige klassische Jazzelemente mit orientalischen Rhythmen. Denen gibt er sich vollkommen hin. Er scheint mit dem Bass zu sprechen, lacht mit ihm und steht daneben, als wäre sein Instrument ein Mensch.

Und manchmal, wenn es so aussieht, als würde sich Cohen an seinen Kontrabass lehnen, wie es ein leicht angeheiterter Freund bei seiner Liebsten tut, dann schnellen plötzlich seine Finger über die dicken Saiten. In einer solchen Geschwindigkeit, dass es scheint, als würden sie stillstehen. Die drei Musiker, die jeder für sich großartige Künstler an ihren Instrumenten sind, schonen sich an diesem Abend nicht. Bis zur Ekstase haut Omri Mor in die Tasten und trommelt Amir Bressler. Sein Schlagzeug-Solo hätte auch von einer Metal-Band stammen können. Wer zu diesem Zeitpunkt noch auf den Bänken sitzt, der ist wahrscheinlich von der Wucht der Musik geplättet.

Den meisten in der Synagoge Rykestraße ging es allerdings nicht so, und fast zum Schluss dieser musikalischen Reise, die über sieben Meere und in den klingenden Libanon führte, sang das Publikum, drängten sich die Besucher auf den Emporen (trotz der hohen Kartenpreise war es sehr voll) und klatschen viele Hände zum Rhythmus, den das Avishai Cohen Trio vorgab. Nur die Aufforderung zum Tanz, nun, der kam allein ein Pärchen ganz am Rand nach.

Das allerdings gab sich ganz und gar der Musik hin und schien gar nicht zu bemerken, dass das Trio schon längst von der Bühne gegangen war.

www.juedische-kulturtage.org

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Gespräch

Warum Uschi Glas bei Antisemitismus nicht schweigen will

Uschi Glas spricht mit Charlotte Knobloch über Schweigen und Verantwortung in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus. Und entdeckt ein unbekanntes Kapitel in ihrer Familiengeschichte

 10.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025