Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

Der französische Karikaturist Luz Foto: picture alliance/dpa

Mit der Geschichte eines von den Nazis verfemten und geraubten Bildes beschäftigt sich der neue Comic von Luz alias Rénald Luzier. Der Überlebende des Anschlags auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins »Charlie Hebdo« stellte die deutsche Ausgabe seiner Graphic Novel am Montag im Kölner Museum Ludwig vor. Dort hängt das Bild »Zwei weibliche Halbakte«, das im Mittelpunkt des Comics steht und ihm auch seinen Titel gab.

Gemalt wurde das expressionistische Gemälde von Otto Mueller 1919 in Berlin. Später wurde es an den jüdischen Sammler Ismar Littmann verkauft und dort Teil seiner knapp 6.000 Werke umfassenden Sammlung. 1934 nahm sich Littmann aufgrund antisemitischer Repressalien das Leben. 1935 beschlagnahmte die Gestapo das Gemälde, als »kulturbolschewistische Darstellung[en] pornographischen Charakters«. Der Halbakt wurde zusammen mit anderen heute weltberühmten Gemälden 1937 in der berüchtigten Ausstellung »Entartete Kunst« in München ausgestellt.

Parallelen zu eigenen Erfahrungen

Er habe sich viel mit der Münchner Ausstellung beschäftigt, sagte Luz im Vorfeld. Dort seien Kunstwerke buchstäblich zu Feindbildern gemacht worden. »Darin sehe ich eine Parallele zu meinen eigenen Erfahrungen. Deshalb wollte ich die Geschichte eines der Bilder aus dieser Ausstellung erzählen, die unfreiwillig zur beeindruckendsten Zusammenstellung von Malerei des 20. Jahrhunderts geworden ist.« Mit seiner Graphic Novel habe er zeigen wollen, »dass wir alle genauso von der Geschichte hin- und hergeworfen werden wie jedes andere Objekt.«

1939 sollte Muellers Gemälde zusammen mit anderer Raubkunst in Luzern versteigert werden, es fand sich aber kein Bieter. Für einen Betrag zwischen 100 und 150 US-Dollar wanderte das Bild dann in den Besitz des Kunstsammlers Hildebrand Gurlitt, der es später Josef Haubrich weiterverkaufte. Nach dem Krieg wurde die Sammlung Haubrich dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln gestiftet und kam 1976 ins neu gegründete Museum Ludwig. Erst 1999 stellte sich heraus, dass es sich bei »Zwei weibliche Halbakte« um Raubkunst handelte. Das Gemälde wurde an die Tochter von Ismar Littmann, Ruth Haller, restituiert und 2000 wieder zurückerworben.

Zeichner Luz wurde 1972 in Tours geboren. Ab 1992 war er festes Redaktionsmitglied von »Charlie Hebdo«. Dem islamistischen Anschlag 2015 entging er, weil am 7. Januar, seinem Geburtstag, verschlafen hatte und zu spät zur Redaktionssitzung kam. Im September des gleichen Jahres verließ Luz, der nach dem Attentat Interims-Chefredakteur von »Charlie Hebdo« war, das Blatt. Seine Erinnerungen an die Charlie-Zeit hat er in dem Comic-Memoirenband »Wir waren Charlie« verarbeitet.

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025

Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Von den Nazis zerstörte Synagogen virtuell zum Leben erwecken, das ist ein Ziel von Marc Grellert. Eine Internetseite zeigt zum 9. November mehr als 40 zerstörte jüdische Gotteshäuser in alter Schönheit

von Christoph Arens  09.11.2025

Theater

Metaebene in Feldafing

Ein Stück von Lena Gorelik eröffnet das Programm »Wohin jetzt? – Jüdisches (Über)leben nach 1945« in den Münchner Kammerspielen

von Katrin Diehl  09.11.2025

Aufgegabelt

Mhalabi-Schnitzel

Rezepte und Leckeres

 09.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  09.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025