Rap

Der Mann im Zug

Sanft geworden: Moses Pelham Foto: dpa

Wenn Moses Pelham über seine Haltung zur Welt spricht, dann spricht er gerne von einem Gleichnis. Er spricht von dem Mann im Zug. Schaut der Mann zur rechten Seite aus dem Fenster, sieht er eine graue, steinige Felswand, die sich vor ihm aufbaut. Schaut der Mann zur linken Seite, dann sieht er wiederum eine grüne Wiese, einen freien blauen Himmel und die strahlende Sonne.

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Der alte Moses Pelham hätte seinen Blick kaum lösen können von den trostlosen, bedrohlichen Felswänden. Der neue Moses Pelham hingegen akzeptiert, dass es neben der Tristesse auch die Schönheit gibt, dass nur beide Perspektiven zusammen einen genauen Blick auf die Welt ermöglichen. Der neue Moses Pelham ist ein Mann, der nun öfter zur linken Seite aus dem Fenster schaut.

In den 90ern erfand er harten, kompromisslosen Straßenrap auf Deutsch.

Vergangenen Monat veröffentlichte der Musiker sein mittlerweile siebtes Solo­album. Es heißt Emuna und ist ein weiteres musikalisches Zeugnis für den Perspektivwechsel, den Pelham in seinem Leben vollzogen hat. Weg von den grauen Steinen, hin zu den blühenden Landschaften. Bis dahin war es ein langer Weg.

Ein Weg, auf dem Musikgeschichte geschrieben wurde. Es gibt dieses viel zitierte Bild von dem jungen Moses, der als Jugendlicher in den 80er-Jahren mit einem Koffer voller KISS-Platten in die USA reiste und mit einem Kopf voll mit Hip-Hop nach Deutschland zurückkehrte. Das, was er in New York kennengelernt hatte, prägte seinen Blick auf die Welt radikal, und von nun an lebte er diese neue Musik, diese neue Kultur, und drückte ihr seinen ganz eigenen Stempel auf.

BATTLE Pelham wurde eine der wichtigsten und zentralsten Figuren im deutschen Hip-Hop-Kosmos. Mit seinem Rödelheim Hartreim Projekt (RHP) erfand er in den 90er-Jahren harten, kompromisslosen Straßenrap auf Deutsch. Mit Sabrina Setlur entdeckte und förderte der Frankfurter eine der ersten und wichtigsten Rapperinnen der Szene, und mit seinem Label 3p brachte er erstmals deutschen Soul auf die Landkarte.

Seine ersten drei deutschsprachigen Soloalben nannte er Geteiltes Leid. Der Name war Programm. Nach dem battlelastigen Straßenrap, den er mit dem Rödelheim Hartreim Projekt etablierte, wollte er sich nun als Künstler öffnen und erlaubte seinen Zuhörern einen tiefen Blick in seine Seele.

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Auch diese offen-brutale Einsicht war ein Novum in der damaligen Szene, die in der Außenwirkung noch immer stark vom mittelständischen Spaß-Rap der Fantastischen Vier oder den Absoluten Beginnern geprägt war. Erst im dritten Teil von Geteiltes Leid (2012) nahm der Blick auf das titelgebende Leid ab und richtete sich mehr auf die positiven Dinge. Auf das, was es im linken Fenster zu sehen gab.

Dieser Weg, dieser Perspektivwechsel wurde mit dem späteren Album Herz und nun schließlich mit Emuna konsequent weiter beschritten. Emuna ist Hebräisch und bedeutet so viel wie »Kraft des Glaubens«. Und hier liegt wohl auch der Schlüssel zu Moses’ neuer Haltung zur Welt: in seiner Auseinandersetzung mit dem Glauben.

Zwar war eine gewisse Spiritualität im Gesamtwerk von Beginn an präsent, doch auch hier hat sich die Perspektive verändert. In seinem Frühwerk war Glaube immer auch Sehnsucht und Moses in der Rolle eines Suchenden; mittlerweile wirkt es, als wäre Pelham ein gutes Stück angekommen.

Pelhams Glaubensverständnis lässt sich aber nicht auf ein starres Dogmenkorsett herunterbrechen. »Ich sah Gott wirken, wie er wohnt und wo er Leben erschuf / Nicht in Kirchen, Synagogen und Moscheen / Sondern in einer Welt voller nicht zu fassender Süße / Selten wie das Wasser in der Wüste / Meine Heimat ist ein Herz«, rappte er noch auf dem Vorgängeralbum. Ihm geht es mehr um die unmittelbare Begegnung mit einem Schöpfer in der Welt, die uns umgibt.

JERUSALEM Einen großen Einfluss hatte Rabbiner David Kraus bei dieser Selbstfindung. Er inspirierte Pelham mit seiner Philosophie des Glücks, nahm ihn schließlich mit nach Jerusalem. Pelhams tiefe Auseinandersetzung mit dem Judentum veränderte sein Leben. Und seine Musik.

So sieht es auch Niko Deeg. Deeg, Vorsitzender der Jüdisch-Chassidischen Bewegung Breslev Deutschland mit Sitz in Hanau, ist jemand, der Moses schon sehr lange kennt. Sie besuchten bereits Anfang der 80er frühe Hip-Hop-Jams im Frankfurter Raum. »Aber ich erlebe heute einen ganz neuen Moses. Einen Mann, der in sich ruht, der sich gefunden hat«, sagt Deeg. Und das sei auch auf Emuna zurückzuführen. Auf die Kraft des Glaubens.

Die Auseinandersetzung mit dem Judentum veränderte Pelhams Leben – und seine Musik.

»Es geht gar nicht so sehr darum, was man glaubt. Es geht darum, aus diesem Glauben an sich eine Kraft zu ziehen, die das Leben bereichert, die einem das Selbstbewusstsein gibt, die Dinge so zu machen, wie man sie für richtig hält.« Die Kraft des Glaubens gibt einem die Kraft, man selbst zu sein. Und dieses Selbstbewusstsein hört man der CD an. Auf Tracks wie »Notaufnahme« oder »Backstein« meint man, den alten Moses herauszuhören, kampfeslustig und angriffsbereit, während Titel wie »Du« oder »Emuna« seine verletzliche Seite spiegeln.

Auch die früher sehr bombastische Produktion wurde heruntergefahren. Das Album klingt stellenweise sogar recht minimalistisch. Es klingt, als hätte Pelham einen Teil seiner Rüstung abgelegt, als würde er sein Ich noch etwas mehr in den Fokus stellen, statt sich hinter Beats zu verstecken. Emuna fügt alle bisherigen Facetten eines komplexen Künstlers zusammen. Es klingt, als wäre Pelham ganz bei sich selbst angekommen.

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Das allerdings will er so nicht stehen lassen. Vielleicht mag es auf den einen oder anderen Hörer so wirken, sagt er, aber angekommen sei er noch lange nicht. Er bleibe ein Suchender, bleibe jemand, der sich noch immer auf der Reise befindet.

Nur eben jemand, dessen Perspektive sich erweitert hat. Eben so wie der Mann im Zug, der nun in beide Richtungen schaut und gelernt hat, die gegensätzlichen Bilder, die die Welt bedeuten, zusammenzusetzen.

Moses Pelham: »Emuna«. RCA Deutschland (Sony Music)

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