Ausstellung

Der Mann, der die Nivea-Creme erfand

Monatelang probieren sie es immer wieder: Erhöhen mal den Fett- und mal den Wasseranteil. Mischen neue Bestandteile dazu, lassen sie wieder weg. Dann schließlich ist es geschafft: Die Firma Beiersdorf aus Hamburg bringt im Jahre 1911 mit »Nivea« eine neuartige Hautcreme auf den Markt. Ein Produkt, dessen Namen heute jeder kennt, selbst wenn er eine andere Creme im Badezimmerschrank liegen hat. Nahezu unbekannt hingegen ist heute der Name Oscar Troplowitz: einer der Erfinder von Nivea und damaliger Besitzer von Beiersdorf. Nun führt das Jüdische Museum Rendsburg mit einer kleinen, feinen Ausstellung durch sein Leben. Präsentiert wird nicht allein das Porträt eines umtriebigen Erfinders; erzählt wird zugleich vom Wirken eines beeindruckenden jüdischen Mäzens.

gründerzeit Der 1863 im oberschlesischen Gleiwitz geborene Troplowitz interessierte sich eigentlich für Philosophie und Kunst. Doch sein Vater bestand darauf, dass er Apotheker wurde. Der Sohn fügte sich. Eines Tages stolperte er über eine Anzeige: In Hamburg-Altona war ein pharmazeutisches Labor zu kaufen, von einem gewissen Paul Carl Beiersdorf. Troplowitz zog in die Hansestadt, investierte und expandierte. 1892 ließ er in Hamburg-Eimsbüttel eine neue Firmenzentrale samt Fertigungsräumen bauen. Agierte Beiersdorf nach der Devise »Ich brauche keine Reklame« und ließ die Etiketten seiner Produkte von Hand schreiben, tat Troplowitz das Gegenteil: Er entwickelte Aufsteller und Werbetafeln aus Emaille, bestückte Busse und Straßenbahnen mit seiner Werbung, deren Typografie er von der am Jugendstil orientierten Schnörkelschrift umstellte auf die klaren Druckbuchstaben der Neuen Sachlichkeit. Das zeigte Wirkung. Der Umsatz wuchs, innerhalb weniger Jahre erhöhte sich der Mitarbeiterstamm von elf auf über 500. Beiersdorf wurde zu einem globalen Unternehmen. Weitere bis heute bekannte Produkte wurden entwickelt, wie der Klebeverband »Leukoplast« und der Lippenpflegestift »Labello«.

soziale ader Eine Erklärung für den enormen wirtschaftlichen Erfolg von Troplowitz war seine soziale Ader. »Dank der Errungenschaften, die er einführte, wie den bezahlten Urlaub, ein kostenloses Mittagessen, eine Art Betriebskindergarten und eine Pensionskasse, konnte er sich auf die absolute Loyalität seiner Mitarbeiter verlassen«, sagt Museumsleiter Christian Walda. Während Troplowitz’ Zeit hat nur ein einziger Beschäftigter gekündigt. Auch außerhalb des eigenen Unternehmens war Troplowitz als Wohltäter aktiv. Dass es mitten in der Stadt einen Stadtpark gibt, hat Hamburg ihm zu verdanken. Er unterstützte gleichermaßen das örtliche evangelische, katholische und jüdische Krankenhaus. Er widmete sich auch seiner geliebten Kunst und kaufte in Paris Werke der jungen Impressionisten. Als erster Deutscher erwarb er einen Picasso – das düstere Bild Die Absinthtrinkerin aus dem Besitz der US-Schriftstellerin Gertrude Stein. Troplowitz hatte das Bild über seinem Schreibtisch hängen, zum Entsetzen seiner Familie. Und schließlich saß er auch als Abgeordneter der Linksliberalen in der Hamburger Bürgerschaft.

hanseatisch Dieses umtriebige Leben hatte seinen Preis. Im Alter von nur 55 Jahren starb Oscar Troplowitz 1918 an einem Hirnschlag – und geriet danach immer mehr in Vergessenheit. »Erst seit etwa zehn Jahren wird langsam das Wirken des jüdischen Mäzenatentums der Kaiserzeit erforscht«, erklärt Museumschef Walda sein Forschungs- und Ausstellungsinteresse: »Es zeigt sich, wie sehr die jüdischen Mäzene dem bürgerlichen Aufklärungsideal verpflichtet waren, dass das Soziale und das Schöne, Künstlerische nicht zu trennen seien.« Im Falle des Oscar Troplowitz, sagt er, liefen dabei zwei Stränge zusammen: das Gebot der Zedaka und das hanseatische Prinzip, Gutes zu tun und nicht darüber zu reden.

»Oscar Troplowitz – Sozialer Unternehmer und Kunstmäzen«, Jüdisches Museum Rendsburg bis 3. Oktober

www.jmrd.de

Marko Dinić

Das große Verschwinden

Der serbisch-österreichische Autor füllt eine Leerstelle in der Schoa-Literatur

von Katrin Diehl  13.10.2025

Usama Al Shahmani

Die Hälfte der Asche

Der Schweizer Autor stammt aus dem Irak. Sein Roman erzählt eine Familiengeschichte zwischen Jerusalem und Bagdad

von Frank Keil  13.10.2025

Literatur

Poetische Analyse eines Pogroms

Boris Sandler, ehemaliger Chefredakteur der jiddischen Zeitung »Forverts«, schreibt über das Blutbad von Kischinew

von Maria Ossowski  13.10.2025

Sachbuch

Zion liegt in Texas

Rachel Cockerell schreibt über russische Juden, die in die USA auswanderten – ein Teil ihrer Familiengeschichte

von Till Schmidt  13.10.2025

Romain Gary

Widerstand in den Wäldern

»Europäische Erziehung«: Der Debütroman des französisch-jüdischen Schriftstellers erscheint in neuer Übersetzung

von Marko Martin  13.10.2025

Jan Gerber

Vergangenheit als Schablone

Der Historiker skizziert die Rezeptionsgeschichte des Holocaust und stößt dabei auf Überraschendes

von Ralf Balke  13.10.2025

Literatur

Die Tochter des Rabbiners

Frank Stern erzählt eine Familiengeschichte zwischen Wien, Ostpreußen, Berlin und Haifa

von Maria Ossowski  13.10.2025

Yael Neeman

Damals im Kibbuz

Der israelische Bestseller »Wir waren die Zukunft« erscheint auf Deutsch

von Ellen Presser  12.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Der Ewige? Ist ein cooler Typ, singen Hadag Nachash

von Margalit Edelstein  12.10.2025