Erinnerung

Den alten und den neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Virtuelle Rundgänge durch Synagogen

Innenansicht der Synagoge nach einer Rekonstruktion der TU Darmstadt Foto: © TU Darmstadt

Den alten und neuen Nazis ein Schnippchen schlagen: Das war das Ziel von Marc Grellert. Seit 1994 arbeitet der Leiter des Forschungsbereichs Digitale Rekonstruktion an der TU Darmstadt daran, von den Nazis 1938 zerstörte Synagogen in alter Schönheit digital zu rekonstruieren. Jetzt, zum Gedenktag an die November-Pogrome am Sonntag, sind mehr als 40 dieser virtuell wiederhergestellten jüdischen Gotteshäuser auf der neuen Internetseite unter https://virtuelle-synagogen.de virtuell zu erkunden und zu bewundern.

Ein paar Clicks genügen: Und schon kann der Internetnutzer durch das mittelalterliche jüdische Viertel von Köln wandern oder in die prächtigen Synagogen von Hannover, Darmstadt, Dresden oder Schwerin eintreten. Zu sehen sind sowohl kleinere Landsynagogen als auch große städtische Gotteshäuser.

Auch mittelalterliche Gotteshäuser

Abrufbar sind Bilder, Filme und Panoramen sowie inhaltliche Informationen zu den ehemaligen Synagogen. Die Rekonstruktionen umfassen neben Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört worden sind, auch die mittelalterlichen Gotteshäuser in Köln, Worms und Speyer sowie die barocken Gotteshäuser in Horb und in der Frankfurter Judengasse. Die Homepage gibt auch einen Überblick über verschiedene Stilrichtungen und liturgische Ausrichtungen und bietet Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit, sich insgesamt zu jüdischen Sakralgebäuden zu informieren.

Die Idee kam Grellert und seinen Mitstreitern 1994 nach einem Brandanschlag von Neonazis auf die Synagoge in Lübeck. Das Ziel des Ingenieurs: an das ehemals reichhaltige und vielfältige jüdische Leben in Deutschland zu erinnern und ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Es geht ihm und seinen Mitstreitern darum, den Nutzern den kulturellen Verlust und die Schönheit der einst in Deutschland vorhandenen Synagogen-Architektur vor Augen zu führen, aber auch die frühere Bedeutung für das Stadtbild zu würdigen. Gleichzeitig soll das Projekt einen Beitrag zum Gedenken an die Schoah leisten. Mehr als 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume wurden rund um die Pogrome vom November 1938 zerstört.

Anfangs rekonstruierten Grellert und seine Mitstreiter drei Frankfurter Synagogen für eine Ausstellung im dortigen Jüdischen Museum. »Das Echo war so überwältigend, dass wir uns entschlossen haben weiterzumachen«, erinnert sich der Ingenieur. Eine aufwendige Puzzlearbeit auf der Grundlage alter Fotografien, Baupläne, Zeitzeugenberichte und zeitgenössischer Zeichnungen.

Internationale Ausstellungen

Seither hat die Computertechnologie große Sprünge gemacht. »Während die Frankfurter Synagogen in einer ersten Ausstellung lediglich als Ausdrucke gezeigt wurden, können wir heute mittels Virtual-Reality in rekonstruierten Synagogen umhergehen«, sagt Grellert. Im Jahr 2000 präsentierten die Darmstädter Wissenschaftler ihre Arbeit in einer Ausstellung in der Bonner Bundeskunsthalle. Nach dem gleichen Prinzip haben sie auch die Paläste im Vatikan und beispielsweise auch die Architektur des Moskauer Kreml aus den vergangenen 800 Jahren rekonstruiert. Die Wanderausstellung »Synagogen in Deutschland - Eine virtuelle Rekonstruktion« sorgte anschließend auch in Israel, Kanada und den USA für Begeisterung.

Neben Virtual Reality nutzen die Techniker mittlerweile auch die Möglichkeit, digitale Modelle gewissermaßen über Nacht auszudrucken. Die eingesetzten Materialien reichen von Gips und Keramik bis zu Glas und Metall. Für die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin wurden Modelle für die Synagogen aus Köln, Hannover, München und Plauen aus Edelstahl gedruckt.

Mehr als 40 Synagogen sind im Lauf der Zeit am Fachgebiet Digitales Gestalten und bei der Architectura Virtualis, Kooperationspartnerin der TU Darmstadt, virtuell rekonstruiert worden. Weitere zehn sind in Bearbeitung und sollen in den nächsten zwei Jahren die Sammlung ergänzen.

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025

Gespräch

Warum Uschi Glas bei Antisemitismus nicht schweigen will

Uschi Glas spricht mit Charlotte Knobloch über Schweigen und Verantwortung in Zeiten eines wachsenden Antisemitismus. Und entdeckt ein unbekanntes Kapitel in ihrer Familiengeschichte

 10.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Friede, Freude, Eierkuchen oder Challot, koschere Croissants und Rugelach

von Margalit Edelstein  09.11.2025

Geschichte

Seismograf jüdischer Lebenswelten

Das Simon-Dubnow-Institut in Leipzig feiert den 30. Jahrestag seiner Gründung

von Ralf Balke  09.11.2025