Werkschau

Das Wunder von Leipzig

Nadja Vergne und Küf Kaufmann Foto: picture alliance/dpa

»Es ist ein Wunder«, sagte Küf Kaufmann jüngst bei der Präsentation der Werkschau zum Archiv des jüdischen Fotografen Abram Mittelmann in Leipzig. Über Jahre hatte der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig versucht, eine Übergabe des Archivs an die rechtmäßige Eigentümerin, Mittelmanns Enkelin Nadja Vergne, zu erwirken.

Dass die Sammlung heute gesichert ist und ein erster Einblick gewährt werden kann, erfüllt nicht nur ihn mit Freude: »Ich freue mich und bin sehr stolz auf diese Ausstellung«, sagte Nadja Vergne, die zur Eröffnung extra aus Frankreich angereist war. »Ich danke allen, die das möglich gemacht haben.«

flucht Abram Mittelmann betrieb in den 1920er- und 30er-Jahren in Leipzig ein Fotoatelier, bis er 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen musste und später in der Schoa ermordet wurde. Knapp 50 Jahre lang schlummerten die mehr als 2000 Glasplatten mit Fotonegativen auf dem Dachboden des Hauses, in dem sich das Atelier befand.

Im Jahr 1987 entdeckte eine Leipziger Fotografin die Platten, nahm sie an sich, sicherte sie – und gab sie nicht mehr her. Es folgten jahrzehntelange Streitereien, zahlreiche Akteure aus Leipzig engagierten sich, bis im Herbst 2022 endlich eine Lösung gefunden und die Sammlung an den Verein »Archiv Bürgerbewegung Leipzig« übergeben wurde.

Inzwischen sind alle Bilder digitalisiert worden, jetzt geht es darum, die Sammlung wissenschaftlich aufzuarbeiten. »Das ist sicherlich der bedeutendste Fund zur Leipziger jüdischen Geschichte, den wir in den vergangenen Jahren hatten«, sagt der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig, Anselm Hartinger, nach der ersten Sichtung der Sammlung.

digitalisierung Sein Haus hat sich um die Digitalisierung der Bilder gekümmert, nun freut er sich auf die wissenschaftliche Aufarbeitung: »Wir werden noch viel erfahren über die jüdische Community, auch über jüdische Menschen zwischen Verfolgung und Auswanderung. Mit jedem Foto entsteht ein Fenster in die Geschichte.«

Doch für die wissenschaftliche Arbeit fehlt derzeit noch die Finanzierung. Die Werkschau soll nun – gemeinsam mit einer eigens entstandenen Broschüre – Interesse an der Sammlung wecken und helfen, Fördermittel und Spenden einzuwerben. Und so erfährt man in der Ausstellung einiges über den historischen Hintergrund und die Bedeutung des Archivs sowie über die Familie Mittelmann. Auch einige der Porträts und Familienfotos sind zu sehen.

Ein wichtiger Teil der Aufarbeitung wird sein, die Menschen auf den Fotos zu identifizieren. Denn die Negative waren zwar in vielen Fällen beschriftet, meist aber nur mit einem Nachnamen. Bei dieser Arbeit hofft Achim Beier vom Archiv Bürgerbewegung auf die Unterstützung der Nachkommen der Abgebildeten: »Wir müssen Wege finden, die Bilder weltweit auszustellen, damit uns Menschen weltweit bei der Aufarbeitung helfen, indem sie sagen: Das ist Familie.«

online-datenbank Perspektivisch ist eine Online-Datenbank geplant, in der die Bilder und – so vorhanden – auch die Namen und Biografien der Abgebildeten einzusehen sind. Bis dahin können sich mögliche Nachfahren beim Archiv Bürgerbewegung melden.

Die Bilder zugänglich zu machen, ist auch Mittelmanns Enkelin Nadja Vergne sehr wichtig. Als Schoa-Überlebende der Zweiten Generation weiß sie, wie wertvoll alte Fotos von Vorfahren sind, die bei der Flucht alles zurücklassen mussten oder gar ermordet wurden. Nun kann sie aus dem wiedergewonnenen Archiv ihres Großvaters ein ganzes Familienalbum zusammenstellen: »Das ist für mich ein Wunder.«

Die Ausstellung »Der Schatz vom Dachboden. Das Archiv des jüdischen Fotografen Abram Mittelmann« ist bis 27. August im Ägyptischen Museum der Universität Leipzig, Goethestraße 2, zu sehen.

Archäologie

Vorform der Landwirtschaft: Steinsicheln für die Getreideernte

Funde aus einer Höhle in Zentralasien stellen Annahmen zur Entstehung der Landwirtschaft infrage. Offenbar liegen deren Ursprünge nicht nur in der Region Vorderasien, die auch das heutige Israel umfasst

von Walter Willems  26.08.2025

Digital

Initiative von Heidelberger Hochschule: Neuer Podcast zum Judentum

»Jüdische Studien Heute« als Podcast: Das neue Angebot der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg will alle zwei Wochen Forschungsthemen aufgreifen und Einblicke in die jüdische Lebenswelt bieten

von Norbert Demuth  26.08.2025

Cerro Pachón

Vera Rubin Observatory startet wissenschaftliche Mission  

Die nach einer jüdischen Wissenschaftlerin benannte Sternwarte auf einem Berg in Chile läutet eine neue Ära der Astronomie ein

von Imanuel Marcus  26.08.2025

Zahl der Woche

1902

Fun Facts und Wissenswertes

 26.08.2025

TV-Tipp

»Barbie« als TV-Premiere bei RTL: Komödie um die legendäre Puppe

Im ersten Realfilm der 1959 von Ruth Handler erfundenen Puppe ist Barbieland eine vor Künstlichkeit nur so strotzende Fantasie

von Michael Kienzl  26.08.2025

Nominierungen

Grimme Online Award: Nahost-Konflikt und deutsche Geschichte im Fokus

In den vier Kategorien kann die Jury des Grimme Online Awards aus den 25 Nominierten bis zu acht Preisträger auswählen

 26.08.2025

Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Wie konnten die Deutschen den Nazis verfallen und beispiellose Verbrechen begehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Historiker in seinem neuen Buch. Erkennt er Parallelen zu heute?

von Christoph Driessen  26.08.2025

Oberammergau

»Judenfreund«: Regisseur Stückl beklagt Anfeindungen

Christian Stückl leitet die berühmten Passionsspiele in Oberbayern. Lange wurde er dafür gewürdigt, das Werk von judenfeindlichen Passagen befreit zu haben. Nun dreht sich der Wind

 25.08.2025

Kritik

Ukraine verurteilt Auftritt Woody Allens bei Moskauer Filmwoche

US-Filmregisseur Woody Allen lässt sich per Video beim Moskauer Filmfestival zuschalten. In der von Russland angegriffenen Ukraine sieht man den Auftritt alles andere als gern - und reagiert prompt

 25.08.2025