Sehen!

Das ewige Versagen der UN

Szene aus der Dokumentation »Kulissen der Macht« Foto: Films That Matter

Die Vereinten Nationen haben bei allen Verbrechen gegen die Menschlichkeit versagt. Wie also reagiert die westliche Welt mit der Supermacht USA auf Völkermorde? Welche Chancen haben Mitgefühl und Menschenrechte gegen geostrategische und wirtschaftliche Interessen? Welche Debatten führen amerikanische Präsidenten mit ihren Außenministern und Beratern, wenn sie sich in den Situation Room des Weißen Hauses zurückziehen?

Der israelische Filmemacher Dror Moreh hat zu diesen Themen ein höchst differenziertes, zweieinhalbstündiges dokumentarisches Meisterwerk geschaffen. Der ehemalige Elitesoldat der israelischen Armee (IDF), für seinen Film Gatekeepers über israelische Geheimdienstchefs Oscar-nominiert, hat zehn Jahre an seinem neuen Film Kulissen der Macht gearbeitet. Das Scheitern der UN bei allen Genoziden war für ihn ein entscheidender Auslöser, sich diesem Thema zu widmen. 

Ein Beispiel: das Giftgasmassaker von Syriens Diktator Baschar al-Assad

Ein Beispiel: das Giftgasmassaker von Syriens Diktator Baschar al-Assad.  Aus der UN kam, wie immer, keine Entscheidung. Lange hatte der US-Präsident gezögert, Assad nach dessen brutalem Vorgehen gegen Demonstranten überhaupt zur Rechenschaft zu ziehen. In einer Pressekonferenz schließlich formulierte Obama 2012 die berühmte Rote Linie. Bei Giftgas würde er eingreifen.

Warum stand er nicht zu seinem Wort? Zum einen fürchtete er, Syrien würde in einem ähnlichen Chaos wie Libyen versinken. Zum anderen wollte die internationale Gemeinschaft, die Niederlande und Frankreich ausgenommen, Obama nicht unterstützen. Angela Merkel, so ein Berater, hatte Obama vor Putins Reaktion gewarnt. »Barack, willst du das wirklich bis zum Ende durchziehen? Ich sage Dir das als Freundin: Putin wird behaupten, du hast das erfunden.« 

Obama verzichtete. Mit Folgen für die Glaubwürdigkeit und das konsequente Handeln der USA bis heute. Die Diskussionen im Weißen Haus lässt Moreh mit prominenten Entscheidern Revue passieren, die sich erstaunlich öffnen. Er hat unter anderen Hillary Clinton getroffen und den amtierenden Außenminister Antony Blinken, der vor der Kamera gesteht: »In Syrien haben wir versagt.« 

Die Erzählungen von langen Diskussionen um ethische Fragen im Situation Room weisen all jene in die Schranken, die den USA allein wirtschaftliche und hegemoniale Interessen vorwerfen. Dennoch: Auch diese Argumente greifen Raum. 

Warum haben 800.000 Tote in Ruanda die USA nicht auf den Plan gerufen?

Und über allem stehen die Fragen: Warum haben die USA nach der Belagerung von Sarajevo und dem Massaker in Srebrenica eingegriffen und Serbien mit NATO- Verbündeten, aber ohne UN-Mandat bombardiert? Moreh konnte noch Madeleine Albright dazu befragen. Warum haben 800.000 Tote in Ruanda die USA nicht auf den Plan gerufen, trotz unerträglicher Bilder und Videoaufzeichnungen? Hillary Clinton hat sich für Ruanda entschuldigt. Macht das die Supermacht glaubwürdiger? Warum wurden Muammar al-Gaddafi und Saddam Hussein gestürzt, und warum hat man die Länder anschließend im Chaos versinken lassen?

Fest steht: »Responsibility to protect«, die Schutzverantwortung, braucht Verbündete, in der NATO, in der UN. Die Vereinten Nationen hatten 1948 unter dem Eindruck des Holocausts Genozide geächtet. Ein nobles Ansinnen, leider ohne Konsequenzen. Völkermorde geschahen und geschehen immer wieder, und die UN konnte oder wollte sie nicht verhindern. Es fehlen zudem die Instrumente. Das Vetorecht macht mögliche Entschließungen zunichte. Die USA als Supermacht waren und sind herausgefordert.

Der Film zeigt Entscheidungswege und dazu jene Bilder aus Bosnien, aus Ruanda, aus Syrien, die unerträglich sind. In allen Ländern hat Moreh Archive und Videomaterial ausgewertet. Einige Grausamkeiten waren bislang nur in Gerichtsprozessen zu sehen. Serben treiben junge bosnische Bauern durch einen Wald und erschießen sie nacheinander. Viele Bilder wie die der vergifteten Kinder in Syrien in den Armen ihrer trauernden Eltern haben wir weitgehend vergessen. Moreh lässt auf Schrecken vermeintlich Paradiesisches folgen. Hunderte aufgedunsene Leichen treiben durch ruandische Seen. Schnitt: Verhandlungen am idyllischen Genfer See – ohne Ergebnis. 

Er rahmt den Film ein in die hehre Absicht der UN, nach der Vernichtung der europäischen Juden nie wieder einen Völkermord geschehen zu lassen. Am Ende wissen wir: Ziel verfehlt. »Wir haben die Lektion nicht gelernt«, so der ehemalige Sicherheitsberater Anthony Lake.

Morehs Film war vor dem Genozid des 7. Oktober 2023 fertig, er benutzt dieses Wort und sagt: »Mit weit geöffneten und doch geschlossenen Augen mit ›Eyes wide shut‹ beobachtet die Welt, wie Juden seither überall geächtet und verfolgt werden. Es bricht mir das Herz.«

Der Film läuft seit 30. Mai im Kino.

Andrea Kiewel

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