Ortstermin

Das bleibt in der Familie

»Fast alle interessanten Menschen sind jüdischer Abstammung«: Barbara Bronnen Foto: dpa

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Das bleibt in der Familie

Der Schriftsteller Arnolt Bronnen ertrickste sich 1941 einen »Ariernachweis«. Seine Tochter Barbara hat die Geschichte jetzt aufgeschrieben. Eine Begegnung in München

von Katrin Diehl  13.08.2012 19:43 Uhr

Manchmal lacht sie. Explosionsartig, kurz und laut. Ihr rotes, rebellisches Haar hebt sich ab von der Dämmerung, die sich in der Münchner Altbauwohnung breitgemacht hat, dort, wo die Maxvorstadt an Schwabing grenzt, im obersten Stock mit Blick auf Dächer und Hinterhöfe.

vater Die Wände verschlucken ihr Lachen. Ihr Haar wird sie ewig jung halten, interessiert am Heute mit einem langen, seufzenden Blick zurück in die Vergangenheit, die sie bei allen Schlussstrichen, die sie unter ihre Familiengeschichte gezogen hat, schwer losbekommt. Ihre Zimmer stecken voller Erinnerungen. Selbst über der Schiebetür, die immer offen steht zum nächsten Raum, biegen sich Regalbretter mit Büchern. »Drüben stehen die Akten«, deutet sie mit dem Kopf in den nächsten Raum, in dem auch Körbe mit buntem Plastikspielzeug auf Kinderbesuch warten, auf die Enkel vielleicht. Eine Familiengeschichte reißt nicht ab. Irgendwann wird sie von der Vergangenheit verschluckt oder man schaut einfach weg, in die andere Richtung, interessiert sich nicht, will nicht wissen.

Barbara Bronnen, 1938 in Berlin geboren, ist seit Jahren zuverlässig mit mal leichterer, mal schwererer Kost auf dem Büchermarkt vertreten. Schwerer wird es dann, wenn es um ihren Vater geht, den Schriftsteller Arnolt Bronnen, den sie manchmal, wenn sie redet, kurz »A.B.« nennt. Das verschafft ein wenig Abstand, lässt den Vater zu einem Stück Literaturgeschichte werden.

Arnolt Bronnen kommt 1895 in Wien zur Welt und feiert im Berlin der Weimarer Republik Erfolge als expressionistischer Dichter. Seine Stücke werden trotz des launischen Urteils Alfred Kerrs – »ein Knall an sich, Leere mit Tempo« – viel gespielt. Er lernt Bertolt Brecht kennen, die beiden freunden sich an, die Freundschaft zerbricht. Er lernt Goebbels kennen, mit dem er sich später eine Geliebte teilt, er wendet sich der Rechten und äußersten Rechten zu, paktiert nach 1933 mit den Nazis, fällt in Ungnade, schließt sich gegen Ende des Krieges in Österreich dem kommunistischen Widerstand an, entdeckt 1949 die entstehende DDR als sein Gelobtes Land, siedelt 1955 nach Ostberlin über, wo er 1959 stirbt. Dort liegt er begraben auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, nicht weit entfernt von Christa Wolf. Und dort beginnt Barbara Bronnens Buch Meine Väter über A.B. und dessen Vater, ihren totgeschwiegenen Großvater, zwei Menschen, die ein Geheimnis verbindet: Sie waren Juden oder »Halbjuden« oder keines von beidem.

grossvater Die schwindelerregenden Turbulenzen von Arnolt Bronnens Leben gehen also weiter, kommen sich in zwei Biografien in die Quere, was die Angelegenheit nicht gerade einfacher macht. Barbara Bronnen versichert, sie könne mit den Fragezeichen, die geblieben sind, leben, mit den Lücken, die ihre Recherchen nicht schließen konnten. »Da habe ich viel von meinem Sohn und seinen Freunden gelernt. Es ist doch letztendlich ganz gleichgültig, wo jemand herkommt. Diesen Standpunkt finde ich sehr erleichternd.«

Im Nebenzimmer stehen die Akten, Papiere, die sie vor Jahren, »als ich mit meinem Sohn schwanger war«, auf ihre jüdischen Wurzeln stoßen ließen. Sie durchforstete entlang der Autobiografie ihres Vaters, Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll, 1954 erschienen, dessen Leben, das unvollständig bleiben musste, ohne Informationen zum Leben ihres Großvaters.

Der hieß Ferdinand Bronner und kam 1867 im Schtetl von Auschwitz, das damals zur Donaumonarchie gehörte, als Eliezer Feivel Bronner zur Welt, Sohn eines Rabbiners und »mosaischer Religion wie seine Eltern Etiel und Hinde Ester«. Er ging nach Wien, wurde Lehrer, legte sich das Pseudonym »Franz Adamus« zu und gilt als einer der ersten naturalistischen Dichter. Gestorben ist Ferdinand Bronner 1948, drei Jahre nach dem Krieg und nur elf Jahre vor seinem Sohn. Auch der Großvater hinterließ Aufzeichnungen.

Barbara Bronnen kennt die Tücken autobiografischer Schriften. Längst glaubt sie nicht mehr alles, was da geschrieben steht. Gerade beim Vater ist äußerste Vorsicht geboten, dem alten Taktiker, der kaum etwas ohne Kalkül tat. Für das Quellenstudium hat sie sich professionelle Hilfe geholt. Dennoch ist Meine Väter ein sehr persönliches Buch geworden, ein prosaischer, subjektiver und mit Reflexionen gespickter Recherchebericht.

prozess Es empfiehlt sich, die Geschichte vom Vaterschaftsprozess Arnolt Bronnens in der Nazizeit aufzudröseln, der auch Dreh- und Angelpunkt des Buches ist. Mit ihm wollte der Schriftsteller nach einem ersten Versuch 1930 seine jüdische Herkunft abschütteln. Als »Halbjude« war er aus der »Reichsschrifttumskammer« ausgeschlossen worden. Das hieß Berufsverbot und potenziell Schlimmeres. Also ließ Bronnen seine nichtjüdische Mutter zu Protokoll geben, dass sie in der Hochzeitsnacht vom örtlichen Pfarrer in einem hypnoseähnlichen Dämmerzustand geschwängert worden sei. Die Frucht dieser Begegnung, Sohn Arnolt, sei ergo »arisch«.

Wer sollte, wer konnte das glauben? Am wenigsten wohl die »Sippenforscher« des NS-Staates. Dennoch wurde Arnolt Bronnen 1941 für unehelich und somit »arisch« erklärt. Über den Vater, Ferdinand Bronner, der durch den Prozess im Grunde ans Messer geliefert worden war, urteilte das Berliner Landgericht konträr zum Wiener Reichssippenamt, »dass – welch Wunder – auch Dr. Ferdinand Bronner kein Jude sei«, wie die Enkelin ironisch schreibt.

chuzpe Barbara Bronnen glaubt über rätselhafte Lücken hinweg an ein Komplott zwischen Vater und Sohn, die beide in ihrem Leben weder mit dem Judentum noch miteinander klargekommen waren. Sie glaubt daran, weil ihr eine andere Erklärung fehlt. »Hochachtung erfüllt mich vor diesen beiden Männern«, schreibt sie ein wenig unvermittelt. »Hätten meine Väter ihren grandiosen Coup nicht mit der ihnen eigenen Chuzpe durchgezogen, gäbe es uns, ihre Nachkommen, nicht.«

Gespannt wartet sie jetzt darauf, ob ihr Buch »etwas auslöst«. »Bislang hat sich die Forschung weder mit den Hintergründen zu Bronnens persönlichem Prozess noch allgemein mit den gerichtlichen Anfechtungen ehelicher oder unehelicher Geburten im Dritten Reich beschäftigt (...), bei denen es um den ›passenden Status‹ der Eltern und ihrer Kinder und damit um Tod oder Überleben ging«, heißt es ganz am Ende des Buches. Im Übrigen fände Barbara Bronnen es schön, wenn sich bei ihr jüdische Wurzeln nachweisen ließen. Warum? »Weil fast alle interessanten Menschen, mit denen ich mich beschäftige oder mit denen ich zu tun habe, jüdischer Abstammung sind.« Ihr Lachen explodiert wieder.

Barbara Bronnen: »Meine Väter«. Insel, Berlin 2012, 332 S., 22,95 €

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