Ausstellung

»Darm mit Charme« in Israel

Eine Ausstellung sorgt derzeit in Jerusalem für Furore. Sie basiert auf dem Buch Darm mit Charme der deutschen Wissenschaftlerin und Autorin Giulia Enders. Ist Museumsdirektorin Maya Halevy noch ganz bei Trost, fragte die »Jerusalem Post« etwas bang – um dann der langjährigen Chefin des Bloomfield Science Museum ein Kränzchen dafür zu winden, die Ausstellung nach Israel geholt zu haben.

Die Ausstellung Microbiota – Gut Feeling, inspiriert von dem Welterfolg der Enders-Schwestern (Giulia schrieb das Buch, Jill illustrierte es) und auch schon in Deutschland erfolgreich, ist wirklich anders als alles andere, was gemeinhin im Museum zu betrachten ist – es geht um Ausscheidungen des Darms, um Verstopfung, Würmer, Flatulenz, Durchfall, Legionen von Bakterien mit guten und nicht so schönen Eigenschaften, es geht um Dick- und Dünndarm, Erbrechen und weiteres menschlich allzu Menschliches – und es geht um die ideale Position auf dem Thron … Sie wissen schon …

2014 schrieb Giulia Enders ihren Bestseller Darm mit Charme. Das Buch der damaligen Medizinstudentin wurde in rund 40 Sprachen übersetzt und insgesamt mehr als vier Millionen Mal verkauft. Es entstand aus einem Vortrag, mit dem Enders 2012 den ersten Preis im Science Slam in Freiburg, Berlin und Karlsruhe gewonnen hatte. Derzeit ist Enders Assistenzärztin für Innere Medizin und in der Facharztausbildung an der Medizinischen Klinik des Israelitischen Krankenhauses Hamburg.

ANTIOBIOTIKA-BEHANDLUNG Ihre Leidenschaft für den Darm und dessen Bewohner begann, als sie im Alter von 17 Jahren eine schwere und langwierige atopische Dermatitis entwickelte und feststellte, dass dies auf eine Antibiotika-Behandlung zurückzuführen gewesen sei. In ihrem Buch erklärt sie, dass sie als Kaiserschnitt-Kind nicht von ihrer Mutter gestillt werden konnte, was sich wahrscheinlich auf ihr Innenleben ausgewirkt habe.

Deshalb wollte die 33-jährige Autorin und zweifache Stipendiatin der Heraeus-Stiftung (die wissenschaftliche Forschung und Bildung unterstützt) auch die Öffentlichkeit über deren Innenleben aufklären, das, wenn es gesund ist, wie eine komplizierte, gut geölte Maschine funktioniert. Gleichzeitig durchbrach sie damit öffentlichkeitswirksam das Schweigen über ein gesellschaftliches Tabuthema.

Die Schau gleicht einer Tour vom Nordpol bis zu den südlichen Gefilden des Körpers.

Allein das deutsche Original wurde mehr als eine Million Mal verkauft. Und genauso schwung- und humorvoll wie Text und Illustrationen gehalten sind, hält auch die Ausstellung stets die Balance zwischen Lehren und Lachen. Was auch an der Mitarbeit der Enders-Schwestern liegen kann. Für Forschungsreisende ab vier Jahren wird die ebenso informative wie amüsante Tour vom Nordpol durchs Zentralmassiv bis zu den südlichen Gefilden des Körpers empfohlen.

Die Ausstellung, die in der Cité des Sciences et de lʼIndustrie in Paris entwickelt wurde, erstreckt sich über 600 Quadratmeter und enthält Dutzende von interaktiven Exponaten, Videos, grafischen Tafeln und etliches mehr. Sie bietet einen Rundgang vom Mund bis zum Anus, einschließlich aller Organe und Organismen auf dem Weg dorthin, mit interaktiven Bildschirmen und Videos der von Israel erfundenen PillCam, die durch den Darm wandert.

Dabei durchqueren die Reisenden auch einen gewölbten Darmabschnitt mit fingerartigen, roten Zotten, um durch die Ausstellung zu gelangen. Bei einem Spiel werden die Teilnehmer aufgefordert, ihre Mahlzeiten nach der allgemein empfohlenen Menge an Ballaststoffen, Eiweiß, Kohlenhydraten und Fett zusammenzustellen.

POSITION Wie das Buch gibt auch die Ausstellung konkrete Tipps, wie man das komplizierte Verdauungssystem verstehen und eine gute Darmgesundheit praktizieren kann. Ein Beispiel: In welcher Position lässt sich am besten der Darm entleeren, um anale Hämorrhoiden und Fissuren zu vermeiden? In der Hocke, wie es in der Armee und in vielen Toiletten auf der ganzen Welt üblich war, bevor der »Thron« erfunden wurde, oder mit angezogenen Beinen auf einem kurzen Hocker, um den Enddarm aufzurichten?

Die Ausstellung ist in drei Abschnitte gegliedert: Der erste Teil ist eine Tour durch die Verdauung. Im zweiten Teil steht die Welt der Mikroben, also die Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm, im Fokus. Das dritte große Themenfeld ist dem Wohlbefinden des Darms gewidmet und zeigt Wege auf, wie das persönliche Mikrobiom, auch bekannt als Darmflora, erhalten und tägliche Essgewohnheiten verbessert werden können.

Wie im Buch werden auch in der Ausstellung mittels einer geschickten didaktischen Metaphorik Dinge veranschaulicht, über die die wenigsten Menschen aufgrund ihrer Komplexität überhaupt nachdenken würden – etwa, wie der Darm funktioniert. Dabei helfen unterhaltsame Workshops wie »Bauch falten«: Mithilfe von Origami-Techniken können Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr eigenes Verdauungssystem mit einer persönlichen Note gestalten.

Darmbakterien erzählen, welche Rolle sie im menschlichen Körper einnehmen.

»Leichte Verdauung« wiederum ist eine interaktive Demonstration, die den fesselnden Weg der Nahrung von dem Moment an, in dem sie in den Mund gelangt, über die Phasen des Abbaus und der Verarbeitung bis zu ihrem endgültigen Verlassen zeigt: ohne Bakterien keine Verdauung. Sie sind unverzichtbarer Teil der Darmflora – des Mikrobioms –, das sich aus Viren, Hefen und Pilzen und eben Bakterien zusammensetzt.

Es verarbeitet nicht nur unsere Nahrung, sondern kommuniziert auch mit dem Gehirn sowie dem Immun- und Nervensystem und sorgt für ein gesundes Gleichgewicht im Körper. In einem der Darmwand nachempfundenen Raum taucht das Publikum in diesen einzigartigen Mikrokosmos ein.

BILDSCHIRM Auf einem interaktiven Bildschirm stellen sich unterschiedliche Darmbakterien vor. Sie erzählen ihre Geschichte und welche Rolle sie im menschlichen Körper einnehmen – eine gute, böse oder sogar eine Doppelrolle. Der Mikrobiomtisch lädt ein, verblüffende Zahlen zu erfahren: Kaum vorstellbar, dass sich in nur einem einzigen Gramm Exkrement mehr Bakterien befinden, als Menschen auf der Erde leben. Wie unterschiedlich dabei die Mikroorganismen in Größe, Farbe, Form und Beschaffenheit sind, lernen die Besucherinnen und Besucher anhand von Modellen zum Anfassen kennen.

Die wenigsten Menschen denken über ihre Hinterlassenschaften nach, es sei denn, sie haben medizinische Probleme damit oder gehen mit ihrem Hund spazieren. Doch die jüdische Tradition, bei der nach jedem Toilettengang ein Segen gesprochen wird, zeigt eindrucksvoll, dass der Darm (und die Nieren) nicht weniger wichtig sind als das Gehirn und das Herz.

Die Ausstellung ist noch bis Sommer 2024 zu sehen: Bloomfield Science Museum, Jerusalem
www.mada.org.il

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Gaza

Erstes Lebenszeichen von David Cunio

Der 34-Jährige Israeli ist seit dem 7. Oktober 2023 Geisel der Hamas – bei der Berlinale wird an an den Schauspieler erinnert

 18.02.2025

Berlinale

Polizei ermittelt nach Antisemitismus-Skandal

Der Regisseur Jun Li hatte einen Brief des Schauspielers Erfan Shekarriz vorgelesen, der zur Vernichtung Israels aufruft

 17.02.2025 Aktualisiert

Lesen!

»Oh, ihr Menschenbrüder«

In seiner kurzen Erzählung verknüpft der französische Schriftsteller Albert Cohen die Dreyfus-Affäre mit der Schoa

von Ralf Balke  17.02.2025

Kulturkolumne

Meine Verwandten, die Trump-Wähler

Warum Hollywood endlich das Leben meiner Tanten und Onkel verfilmen muss

von Eugen El  17.02.2025

Gespräch

Andrea Sawatzki und Christian Berkel: Schweigen gefährdet Beziehungen

Andrea Sawatzki und Christian Berkel sind feste Größen in der hiesigen Film- und Fernseh-Branche - und seit über 25 Jahren ein Paar. Auch gemeinsam stehen sie vor der Kamera, etwa im neuen TV-Drama »Querschuss«

von Katharina Zeckau  17.02.2025

Berlin

Neuer Antisemitismus-Vorfall bei Berlinale

Die verbotene Terror-Parole »From the river to the sea ...« erntet sogar Beifall

 17.02.2025

Berlinale

»David und Eitan sind mit meinem Leben verankert«

Der israelische Regisseur Tom Shoval hat einen filmischen Brief an David Cunio gedreht. Ein Gespräch über Zerrissenheit, Dankbarkeit und Hoffnung

von Katrin Richter  17.02.2025

Berlinale

Dokumentarfilm »Holding Liat« blickt differenziert auf Nahost

Der Streit um Antisemitismus und den Nahost-Konflikt lässt sich aus der Berlinale nicht heraushalten. Am besten ist er in den Filmen aufgehoben, die davon erzählen - so wie die Dokumentation »Holding Liat«

von Felicitas Kleiner  17.02.2025