Musik

Coco Schumann ist tot

Coco Schumann sel. A. (1924–2018) Foto: Gregor Zielke

Der Berliner Swing-Musiker und Holocaust-Überlebende Coco Schumann ist tot. Er verstarb am Sonntag im Alter von 93 Jahren, wie die Jüdische Gemeinde zu Berlin bestätigte.

Heinz Jakob – so sein eigentlicher Vorname – Schumann war einer der ersten und wichtigsten deutschen Swing-Musiker. »An meine erste Gitarre erinnere ich mich immer noch sehr gut«, sagte er 2015 im Gespräch mit der »Jüdischen Allgemeinen«.

Das Instrument gehörte einem Cousin, der zum Militär musste, und es deshalb dem damals 13-Jährigen schenkte. Zuvor hatte er bereits, seit er fünf Jahre alt war, leidenschaftlich Klavier gespielt. »Wenn ich als Kind ein Klavier sah, war ich nicht mehr zu halten – ich musste spielen«, so Schumann.

Pestalozzistraße Daheim gab es ein Grammofon, auf dem Schlager und Operettenmusik erklangen. Und natürlich die Songs der amerikanischen Musikfilme – »die kannte damals jedes Kind«. Seine Mutter war Jüdin, sein Vater konvertierte ihr zuliebe zum reformierten Judentum. Heinz Jakob Schumann besuchte die Schule in der Joachimsthaler Straße und ging mit seinen Eltern in die Synagoge Pestalozzistraße.

Die Schule wurde für ihn noch interessanter, als der Musiklehrer seine Wandergitarre mitbrachte, um mit den Schülern Lieder zu singen. Er wurde auch sein erster Gitarrenlehrer. Vor dem Unterricht passte der kleine Heinz ihn ab, um ihn zu bitten, ihm einige Akkorde auf der Gitarre zu zeigen. Neben der Musik begeisterte er sich fürs Boxen und war Mitglied des jüdischen Sportvereins »Bar Kochba«.

Zufällig lernte Schumann beim Eisessen eine Gruppe Jugendlicher kennen, die ihm Swing vorspielten. Musik von Duke Ellington, Chick Webb, Horst Winter, Teddy Stauffer und Ella Fitzgerald. »Wer den Swing in sich hat, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren«, sagte Schumann.

»Gitarrenkönig« Er hatte seine ersten Gigs und lernte in Nachtclubs fast alles über Swing und Jazz. Bei einem Auftritt im »Groschenkeller« entdeckte der damalige »Gitarrenkönig« Hans Korseck den Schüler. Während einer Pause sprach er ihn an, ob Coco nicht bei ihm Unterricht nehmen wolle. »Ich wäre beinahe umgefallen«, erinnerte sich Coco Schumann. Von da an nahm er den gelben Stern, den er als Jude tragen musste, regelmäßig ab und ging in die Fasanenstraße, um dort zu lernen. »Das war ja für mich strengstens verboten.«

Doch solche Verbote störten ihn nicht. Er spielte in den Bars heimlich »undeutsche« Jazz- und Swingmusik. »Einmal kam die Gestapo zur Kontrolle«, erzählte er. »Sie müssen mich jetzt verhaften«, erklärte er ihnen. »Erstens bin ich minderjährig, zweitens Jude, und drittens spiele ich Jazz.« Allerdings glaubten die Nazis ihm kein Wort.

Eines Tages wurde er dennoch verraten und nach Theresienstadt deportiert. »Dort durfte man alles machen, was man sonst nicht durfte«, erinnerte sich Schumann – wie beispielsweise Jazzmusik. Später, nachdem er nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde, gehörte Schumann zu den Musikern, die an der Todesrampe spielen mussten. »Die SS-Männer wollten immer ›La Paloma‹ hören«, so Schumann – die Musik habe ihm das Leben gerettet.

Befreiung Anschließend wurde Schumann nach Kaufering deportiert und auf den Todesmarsch nach Innsbruck geschickt, bis ihn die Amerikaner befreiten. Er begann sein neues Leben wieder in Berlin. Seine Eltern hatten mit seinem 18 Jahre jüngeren Bruder in einem Wald in Oberschlesien überlebt.

Zurück in Berlin, spielte Schumann wieder Swing und traf etliche alte Musikerfreunde wie Helmut Zacharias, dessen Band er bald angehörte, und Bully Buhlan wieder. Nach einem Konzert am Ku’damm sah er zum ersten Mal seine spätere Frau. »Bist du nicht der Schlagzeuger von den Ghetto-Swingern?«, fragte sie ihn. Auch sie war nach Theresienstadt deportiert worden.

So sei das, wenn man Musiker ist, sagte Coco Schumann vor zwei Jahren im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Die Leute kennen einen, aber man kenne sie nicht. »Ich dreh’ deshalb nicht durch. Das ist mein Beruf.« Obwohl er als erster Elektrogitarrist in Deutschland in die Musikgeschichte einging, zog es ihn mit seiner Familie für vier Jahre nach Australien, denn Berlin war ihm fremd geworden.

Kreuzfahrten Doch das neue Land wurde keine Heimat für Schumann. Später, als der Jazz-Hype abflaute, spielte er auf Kreuzfahrtschiffen. »Von Rio bis Odessa«, sagt er, »kenn’ ich jeden Hafen.« Schumann trat in dem Heinz-Erhardt-Film Witwer mit fünf Töchtern auf, spielte Rock’n’Roll und ging mit Roberto Blanco auf Tour. Bis es ihm irgendwann reichte und er nur noch Jazz machen wollte.

Daraufhin gründete er das »Coco Schumann Quartett«, das sich Jazz und Swing widmete und mit dem er noch bis vor Kurzem auftrat. Lange Jahre hat er über die Zeit in den Lagern geschwiegen. »Ich habe Angst vor der Betroffenheit gehabt. Ich bin Musiker, ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der Musik macht.« Diese Unterscheidung war ihm sehr wichtig – und jeder, der Schumann einmal live gehört hat, kann bestätigen, dass sie richtiger nicht sein könnte.

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025

Literatur

Bestseller aus Frankreich: »Der Barmann des Ritz«

Philippe Collin hat ein packendes Porträt über einen jüdischen Barkeeper im Zweiten Weltkrieg geschrieben

von Sibylle Peine  16.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  16.09.2025 Aktualisiert

Nach Absage in Belgien

Lahav Shani in Berlin: Ein außergewöhnliches Konzert

Der Israeli hielt die Spannung mit den Händen – der Dirigent und die Münchner Philharmoniker wurden mit Standing Ovations gefeiert

von Maria Ossowksi  16.09.2025

Berlin

Kulturausschuss lädt Dirigenten Lahav Shani zu Gespräch ein

Die Konzert-Absage an den israelischen Dirigenten sorgt für Kritik - und für Gesten der Solidarität. Nach einem Konzert in Berlin macht auch der Kulturpolitiker Sven Lehmann eine Ansage

 16.09.2025

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025