Wuligers Woche

Broders Erben

Drei Bücher, ein Thema: Auch Henryk M. Broder wollte 1986 seine Leser aufrütteln. Foto: pr

Mit dem Antisemitismus ist es wie mit der Sexualität: Jede Generation entdeckt das Phänomen für sich neu. 1986 erschien Henryk M. Broders Polemik Der ewige Antisemit, in der sich der damals 40-Jährige mit der Judenfeindschaft in der bundesdeutschen Linken auseinandersetzte, in der er sich lange zu Hause gewähnt hatte.

Juna Grossmann und Oliver Polak waren damals beide zehn Jahre alt. Broders Buch wird nicht zu ihrer Kindheitslektüre gehört haben. Grossmann, geboren in Berlin, und Polak, der im Emsland aufwuchs, fühlten sich in Deutschland zu Hause, bauten sich ein Leben in ihrem Heimatland auf – sie als Museumsfachfrau, er als TV-Moderator und Comedian. So weit, so ganz normal.

Koffer Heute sind Grossmann und Polak so alt, wie Broder war, als er Der ewige Antisemit schrieb. Und beide haben gerade Bücher veröffentlicht, in denen es um aktuellen deutschen Antisemitismus geht. Schonzeit vorbei heißt Juna Grossmanns Beschreibung des alltäglichen Judenhasses, den sie als Mitarbeiterin einer NS-Gedenkstätte und Bloggerin ständig erfährt, seit etlichen Jahren in beängstigend zunehmendem Maß.

Inzwischen lebt die Autorin, wie sie sagt, mental auf gepackten Koffern: »Ich gehe nicht mehr davon aus, dass ich hier mein Leben beenden und in Berlin bleiben werde. Eventuell muss man dann halt gehen.«

Mit seinem Dasein als Jude in Deutschland hat sich Oliver Polak schon länger befasst. Er hat daraus ein erfolgreiches Comedy-Programm gemacht, mit dem er durch die Republik tourte. Ich darf das, ich bin Jude hieß es und wurde in manchen Feuilletons als Beweis gefeiert, dass jüdisches Leben in Deutschland angekommen sei. Jüdische Comedy, fast wie in den USA: Gab es ein besseres Indiz für die so gern beschworene Normalität?
Mittlerweile ist Polak allerdings der Humor vergangen. Sein Buch Gegen Judenhass ist nicht witzig. Ständig antisemitischen Bemerkungen ausgesetzt zu sein, wie er sie beschreibt, ist auf Dauer auch nicht komisch.

Sprüche Juna Grossmann und Oliver Polak haben sich dennoch einen Rest an Optimismus bewahrt. Ihre Bücher sind Appelle. Noch glauben beide Autoren offenbar, dass sie mit Schreiben etwas ändern können. Auch Henryk M. Broder wollte 1986 seine Leser aufrütteln. Wie erfolgreich er damit war, sieht man heute. Die Reaktionen auf Grossmann und Polak werden – wie damals – wahrscheinlich in die Richtung »Das ist doch etwas übertrieben«, »Die Juden sind immer so überempfindlich« ausfallen und was dergleichen wohl bekannte Sprüche mehr sind.

Bewirken werden die Autoren kaum etwas. Vergeblich gegen Antisemitismus anzuschreiben, zählt zu den Standardgenres der Sachliteratur. In 40 Jahren werden wahrscheinlich junge jüdische Autoren wieder neue Bücher über deutschen Judenhass schreiben. Erscheinen werden sie, wenn es so weiter geht wie bisher, dann allerdings in Tel Aviv.

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Stefan Wimmer  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025