Die deutsche Filmproduzentin Alice Brauner und der Schweizer Zeitungsverleger Yves Kugelmann wollten es wissen. Wie sieht derzeit das jüdische Leben in Europa aus, ungeachtet von Anschlägen, Bewachung durch schwer bewaffnete Polizisten und die langen Schatten der Schoa, die auch nachgeborene Generationen treffen?
Die Reise führte sie quer Reise durch Europa, von Tanger nach Marseille, vor Straßburg nach Frankfurt und Berlin, von Warschau nach Budapest bis zum einstigen Ghetto von Venedig. Zu sehen ist das in der Arte-Dokumentation »Jüdisch in Europa«, die am Dienstag ab 22.45 Uhr in zwei Teilen ausgestrahlt wird.
INNENSICHT Überraschungen gab es auch für die beiden reflektierenden und kommentierenden Reisenden, die in der Dokumentation unter der Regie von Christoph Weinert auch für jüdische Innensicht stehen. Was heißt das überhaupt, jüdisch zu sein? Die Gesprächspartner von Brauner und Kugelmann sind zwar zu einem großen Teil religiös, doch säkulares Judentum ist ebenso vertreten wie sich einfach kulturell jüdisch zu fühlen.
Brauner und Kugelmann finden viele ebenso vitale wie positiv gestimmte jüdische Gemeinden vor.
Vor allem aber trotzten die Rabbiner und Künstler, Kantoren und Gastronomen ganz selbstverständlich allen antisemitischen Anfechtungen, sie könnten nicht Teil ihrer jeweiligen Länder und ihrer Kulturen sein.
Im Gegenteil: Sowohl in der Vielvölkerstadt Marseille wie auch in Straßburg fanden Brauner und Kugelmann blühende jüdische Gemeinden vor, die ein Zusammenleben in ganz überwiegend harmonischer Toleranz mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern betonten. Nur gelegentlich wurde eingeräumt, es gebe natürlich auch Stadtteile, in denen Kippa oder Davidstern-Anhänger aufgrund des muslimischen Judenhasses lieber verborgen blieben.
RECHTSRUCK Auch in Ungarn schien sich der politische Rechtsruck und wieder aufflammende Nationalismus nicht auf das Selbstbewusstsein und die Selbstverständlichkeit der jüdischen Gemeinde auszuwirken. Die vielen jungen, aktiven Familien der Gemeinde zeigten: Hier wächst etwas. Auch die kürzlich verstorbene Philosophin Ágnes Heller gab sich bei aller Kritik an der Politik von Viktor Orbán optimistisch, was die Zukunft jüdischen Lebens in Ungarn betrifft.
Auch Ágnes Heller äußerte sich optimistisch, was die Zukunft jüdischen Lebens in Ungarn betrifft.
»Irgendwie mehr mitten im Leben und in der Gegenwart« seien die jüdisch-europäischen Nachbarn, resümiert Brauner am Ende der Reise. Vielleicht war das der größte Unterschied zwischen »Jüdisch in Europa« und Jüdischsein in Deutschland, wo die Erinnerung an den Nationalsozialismus, Verfolgung, Deportationen und Holocaust auch die Gegenwart nach wie vor besonders prägt.
Der Zweiteiler »Jüdisch in Europa« wird am 3. September bei Arte ausgestrahlt. Teil eins um 22.45 Uhr, Teil zwei anschließend um 23.35 Uhr.