Man kann Florian Illies zugutehalten, dass sich sein Buch Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary leicht liest. Trotzdem finde ich, dass ich kostbare Lebenszeit damit verschwendet habe, mich zum Ende des Thomas-Mann-Jahres auf den neuesten Stand der Sachbuch-Bestseller-Liste zu bringen.
Damit will ich nicht sagen, dass ich unter der Lektüre gelitten hätte. Dass Thomas Mann im Sommer 1933 in seinem französischen Exilort Sanary-sur-Mer in panischer Angst um die in München zurückgelassenen Tagebücher war, die er später in Kalifornien eigenhändig verbrannte, oder wie wenig Mut der Nobelpreisträger anfangs zur eindeutigen Distanzierung von den Nazis aufbrachte, weil er den ersten Band von Joseph und seine Brüder (Die Geschichten Jaakobs) unbedingt noch 1933 in Deutschland gedruckt sehen wollte, sind vielleicht für Literaturwissenschaftler alte Kamellen.
Das Dilemma zwischen Anständig-Bleiben und Gedruckt-Werden-Wollen
Doch Illies schafft es, das Dilemma zwischen Anständig-Bleiben und Gedruckt-Werden-Wollen, das der Literat erst 1936 mit seinem Bekenntnis zur Emigration auflöste, für ein breites Publikum anschaulich aufzubereiten.
Marianne Krülls psychoanalytisches Vorgehen und die Schuldzuweisungen an den Vater haben mich nicht restlos überzeugt. Doch Florian Illies plaudert mir zu viel.
Trotzdem habe ich mich nach dem Konsum von Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary gefühlt, als hätte ich zu viel Popcorn gegessen. Vielleicht liegt es daran, dass ich noch den Sound von Marianne Krülls Im Netz der Zauberer. Eine andere Geschichte der Familie Mann im Ohr hatte, ein biografisches Psychogramm, das den Suizid von Klaus Mann zum Ausgangspunkt macht. Das Buch erschien 1991, damals waren Familienaufstellungen zum Glück noch nicht sehr in Mode. Was nicht bedeutet, dass mich Krülls psychoanalytisches Vorgehen und die Schuldzuweisungen an den Vater restlos überzeugt hätten – doch Florian Illies plaudert mir zu viel.
Eine kleine Kostprobe: »Wie ist eigentlich gerade das Wetter in Sanary? Golo Mann: ›Schön‹. Heinrich Mann: ›Schön‹. René Schickele: ›Schön‹. Sybille von Schoenebeck: ›Schön‹. Lion Feuchtwanger: ›Ganz schön‹. Und was sagt Tommy, der Zauberer? ›Die Wärme scheint jetzt doch im Wachsen begriffen.‹ Wie schön.«
Und um noch ein bisschen zu nörgeln: Zu den jüdischen Wurzeln von Katia Mann, geborene Pringsheim, hat Illies – im Gegensatz zu Viola Roggenkamp in ihrer Erika-Mann-Biografie von 2005 – keine neuen Ansätze zu bieten. Pingeligerweise könnte man auch anmerken, dass die Mutter von Hedwig Dohm (Katias Großmutter) nicht jüdisch war, aber geschenkt.
Es muss ja nicht gleich der »Zauberberg« sein
Zwei lange Zugfahrten habe ich also mit dem Buch von Florian Illies verbracht. Nun frage ich mich: Warum habe ich mich in dieser Zeit nicht der Literatur gewidmet? Es muss ja nicht gleich der Zauberberg sein.
Es gibt kürzere Texte: »Die Wintersonne stand nur als armer Schein, milchig und matt hinter Wolkenschichten über der engen Stadt. Naß und zugig warʼs in den giebeligen Gassen, und manchmal fiel eine Art von weichem Hagel, nicht Eis, nicht Schnee.« Der Anfang einer Erzählung von Thomas Mann, mit der ich einiges verbinde: Aus Tonio Kröger zitierte mein Mann vor fast 18 Jahren bei einem Date, bevor er mich endlich küsste.
Oder: »Er stand vom Schreibtisch auf, von seiner kleinen, gebrechlichen Schublade, stand auf wie ein Verzweifelter und ging mit hängendem Kopf in den entgegengesetzten Winkel des Zimmers zum Ofen, der lang und schlank war wie eine Säule.« Schwere Stunde, eine Schullektüre, die Jahrzehnte im Gedächtnis bleibt.
Bevor Sie also glauben, Sie müssten unbedingt dem Hype verfallen, nur weil es alle tun: Lesen Sie lieber Thomas Mann!