Finale

Benis Welt

Nicht weit von meiner Wohnung gibt es ein großes Altersheim. Nicht irgendeine muffige Gruftiklitsche, sondern eine hochmoderne Seniorenresidenz. In der Lobby stehen teure Fauteuils neben einer riesigen Vogelvoliere. Auffallend viele hübsche junge Damen schieben Rollstühle hin und her. Auf ihren Namenstafeln steht nicht einfach »Pflegerin«, sondern »Aktivierungsfachfrau« oder »Soziokulturelle Animatorin«. Hier will ich mal alt werden, denke ich manchmal und schaue auf die vielen Weinfläschchen, die von einer »Fachfrau Betriebsverwaltung« gerade abgeräumt werden.

Das Herzstück des Pavillons aber ist ein Streichelzoo. Wahrscheinlich heißt der auch anders, edler. Es gibt dort Hasen, Enten, Hühner – und ein dickes Hängebauchschwein. Das Tier ist so fett, dass sein Bauch den Boden berührt. Es sieht ungemein hässlich aus. Nur der Kopf hat interessanterweise menschliche Züge. Manchmal kommen mir die Pausbacken von Hans-Dietrich Genscher in den Sinn.

bildschirmschoner Das Schwein ist der Grund, weshalb ich mindestens einmal in der Woche in das Altersheim gehe. Wenn ich mich mit meiner Frau streite, wenn es mir schlecht geht, ich auf nichts Bock habe, dann suche ich mein Schwein auf. Meistens schläft es. Der massige Körper vibriert von seinem ohrenbetäubenden Schnarchen und jetzt im Winter dampft es aus den daumendicken Nasenlöchern. Ich sitze dann da und genieße den Anblick, der mich ungemein beruhigt. Ich habe sogar schon ein Foto von dem Tier gemacht habe und als Bildschirmschoner auf meinen Computer geladen.

Störend ist nur, wenn manchmal Väter mit ihren Kindern vorbeikommen. Die Kleinen zeigen auf mein Schwein, grunzen laut und werfen Kieselsteine nach dem Tier. Die Erzeuger grölen laut: »Na, heiß auf den dicken Braten?« Leider traue ich mich nicht, dagegen einzuschreiten. Wie sähe das denn aus, denke ich Feigling, wenn ausgerechnet ich als Jude den Schweineretter gebe? Aber vielleicht wäre das sogar eine Mizwa. Nichtjuden meinen ja, dass wir ihre Schweine hassen, weil sie (also die Schweine) als Speise unrein sind. Das ist ein Missverständnis. Wir haben nichts gegen die Tiere, wir essen sie bloß nicht. Wahrscheinlich können deshalb auch nur wir Juden die innere Schönheit von Hängebauchschweinen erkennen, da keine schnöde Fresslust die Ästhetik beeinträchtigt. Die Schweine selbst sind uns bestimmt auch dankbar. Wir schlachten sie nicht, sondern lassen sie am Leben und schätzen ihren Anblick. Vielleicht sollten wir eine PR-Kampagne starten »Der Jude, der beste Freund des Schweins«.

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  09.12.2025

Zahl der Woche

2 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 09.12.2025

Sehen!

»Golden Girls«

Die visionäre Serie rückte schon in den jugendwahnhaftigen 80er-Jahren ältere, selbstbestimmt männerlos lebende Frauen in den Fokus

von Katharina Cichosch  09.12.2025

Film

Woody Allen glaubt nicht an sein Kino-Comeback

Woody Allen hält ein Leinwand-Comeback mit 90 für unwahrscheinlich. Nur ein wirklich passendes und interessantes Rollenangebot könnte ihn zurück vor die Kamera locken.

 09.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Von Kaffee-Helden, Underdogs und Magenproblemen

von Margalit Edelstein  08.12.2025

Eurovision Song Contest

»Ihr wollt nicht mehr, dass wir mit Euch singen?«

Dana International, die Siegerin von 1998, über den angekündigten Boykott mehrerer Länder wegen der Teilnahme Israels

 08.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  08.12.2025

Vortrag

Über die antizionistische Dominanz in der Nahostforschung

Der amerikanische Historiker Jeffrey Herf hat im Rahmen der Herbstakademie des Tikvah-Instituts über die Situation der Universitäten nach dem 7. Oktober 2023 referiert. Eine Dokumentation seines Vortrags

 07.12.2025

Zwischenruf

Die außerirdische Logik der Eurovision

Was würden wohl Aliens über die absurden Vorgänge rund um die Teilnahme des jüdischen Staates an dem Musikwettbewerb denken?

von Imanuel Marcus  07.12.2025