Wannsee-Konferenz

Bei Getränken und Schnittchen

Vor genau 70 Jahren, am 20. Januar 1942, fand auf Einladung von Reinhard Heydrich am Großen Wannsee in Berlin im Gästehaus des SD (Sicherheitsdienst) eine Konferenz der SS mit hohen Staatsbeamten statt. Der einzige Tagesordnungspunkt der »Besprechung mit anschließendem Frühstück« war die »Endlösung der Judenfrage«. Allen 15 Teilnehmern muss deutlich geworden sein, dass kein Jude im deutschen Einflussbereich in Europa das Ende des Krieges überleben sollte.

Adolf Eichmann verfasste das Protokoll, das 1947 vom Team der US-Ankläger in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen in den Akten des Konferenzteilnehmers für das Auswärtige Amt, Martin Luther, gefunden wurde.

Nach Eichmanns Aussagen im Prozess in Jerusalem 1961 wurden in den Gesprächspausen Getränke und Schnittchen gereicht. Die bereits angelaufenen Mordaktionen wurden offen angesprochen, ohne dass auch nur ein Teilnehmer Bedenken geäußert habe.

Nur wenige Wochen nach dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 eskalierte das selektive Ermorden der wehrfähigen jüdischen Männer durch die Einsatzkommandos zur systematischen Erschießung aller Juden inklusive Frauen, Greisen und Kindern.

Hitler trug Mitte Dezember 1941 im Zusammenhang mit seiner Kriegserklärung an die USA noch radikalere Befehle hinsichtlich der »Endlösung« mündlich vor: die Ausweitung der im September 1941 von ihm vorerst nur für die reichsdeutschen Juden befohlenen Deportation auf alle europäischen Juden. Für den Fall eines Weltkriegs hatte Hitler in öffentlichen Reden seit 1939 mehrmals die Vernichtung der europäischen Juden angedroht.

Komplizenschaft Für Heydrich bedeutete die Ausweitung des Deportationsbefehls auf alle europäischen Juden eine Bestätigung der von ihm schon lange angestrebten Vollmachten. Es ging Heydrich bei der »Staatssekretärskonferenz« am Wannsee um die Demonstration seiner Machtfülle und um die Zusage der Kooperation seitens der Konferenzteilnehmer. Ein verborgenes Motiv für dieses Konferenzzeremoniell sah Eichmann später in Heydrichs Wunsch, die Staatssekretäre auf ihre Komplizenschaft festzunageln.

Die 15 Teilnehmer der Konferenz besprachen die Zusammenarbeit ihrer jeweiligen Behörden bei der bevorstehenden Deportation aller europäischen Juden in die eroberten Gebiete in Osteuropa. Der SD rechnete mit der Deportation von bis zu 11 Millionen Menschen. Die Beamten erfuhren Einzelheiten von den bisher erprobten Mordmethoden und machten Vorschläge im Interesse ihrer Dienststellen.

Die Federführung Heydrichs wurde akzeptiert. Allerdings hatte Heydrich keinen Erfolg mit seinem handstreichartigen Versuch, den Kreis der aus dem Deutschen Reich zu Deportierenden auszuweiten – weit über die Definition von »Jude« seit den Nürnberger Gesetzen vom September 1935 hinaus. Heydrich wollte auch »Halbjuden« und jüdische Ehepartner von »Ariern« deportieren.

Die Wannsee-Konferenz steht also nicht für Zeitpunkt und Ort der Entscheidung zur Ermordung aller Juden – diese Entscheidung fiel vorher mündlich durch Hitler im engen Kreise seiner Führungsclique, sondern es handelte sich um eine Organisationskonferenz nach bereits erfolgter Entscheidung auf höchster Ebene.

Die Wannsee-Konferenz kennzeichnet den Übergang vom bereits in den besetzten Gebieten der Sowjetunion stattfindenden Massenmord an den dortigen Juden zum systematischen Völkermord an allen europäischen Juden. Durch diese Konferenz wurde der gesamte deutsche Staatsapparat zum Mitwisser und Mittäter beim Völkermord an den Juden.

Der Autor ist Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert