Musik

Begegnung der Avantgarden

Ihrer Zeit weit voraus: die Baushaus-Kapelle im Jahr 1930 Foto: Bauhaus-Archiv Berlin

Als Stefan Wolpe seine Musik zu Molières Le malade imaginaire (Der eingebildete Kranke) schreibt, ist er nicht mehr in Deutschland. Auch das Bauhaus ist nicht länger dort, jene große, prägende Kunstschule, die sich 1919 in Weimar gründete, in Dessau ihre Blüte erlebte und in Berlin nach nur einem Jahr dort 1933 auf Druck der Nationalsozialisten zur Auflösung gezwungen wurde. Stefan Wolpe war eng mit dem Bauhaus verbunden – und brachte sich in diesem komplementär angelegten System des künstlerischen Tuns mit seiner musikalischen Sprache ein.

»Er ist einer der faszinierendsten Musiker rund um das Bauhaus«, sagt Kai Hinrich Müller. Der Musikwissenschaftler aus Köln erforscht gemeinsam mit dem Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung die Musik am Bauhaus. Ein weites Feld. Knapp 165 Musikschaffende oder musikaffine Künstlerinnen und Künstler sind bereits aufgespürt worden; ihre Biografien sollen 2024 in einem Handbuch gebündelt erscheinen.

Die Kunstschule gründete sich 1919 und wurde 1933 zur Selbstauflösung
gezwungen.

Die Musik, die sie komponierten und spielten, mit der sie »das Bauhaus« inspirierten und unterhielten, und auch die Musik, auf die sie ihrerseits rekurrierten, soll wieder neu gehört werden. Das bauhaus music weekend ist das Format, in dem das Bauhaus diskutiert und eingeordnet werden kann, aber vor allem klingen (und tanzen!) darf. Es ermögliche eine sehr unmittelbare »Begegnung zwischen den Avantgarden«, sagte Bauhaus-Archiv-Direktorin Annemarie Jaeggi bei der weekend-Premiere, die einen starken historischen Ankerpunkt hatte.

»Wir beziehen uns auf die große Weimarer Bauhaus-Ausstellung des Jahres 1923«, so die Pianistin Michal Friedlander, die gemeinsam mit Kai Hinrich Müller und mit dem Klarinettisten und Dirigenten Karl-Heinz Steffens die künstlerische Leitung innehat. Und so standen 2023 im Meistersaal am Potsdamer Platz in Berlin etliche jener Werke auf dem Programm, die 100 Jahre zuvor gespielt worden sind wie »Die Geschichte vom Soldaten« von Igor Strawinsky oder der Liederzyklus »Das Marienleben« von Paul Hindemith oder Klaviermusik von Ferruccio Busoni. Davon ausgehend galt es, besondere Akzente zu setzen und weitere Verbindungen aufzuzeigen.

NEUE MUSIK Exemplarisch für solch eine »story within the story« sei der Blick auf den 1902 in Berlin geborenen Stefan Wolpe, sagt Michal Friedlander im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Wolpe habe sich 1933 plötzlich mehrfach als verbannt gesehen: als Jude, als Avantgardist, als Kommunist. Seine Hoffnung: ein Neuanfang in Palästina. Doch der Versuch, dort Fuß zu fassen, misslang. Michal Friedlander resümiert: »Stefan Wolpe konnte in Israel seinen Platz nicht finden.« Weder künstlerisch noch politisch, er war früh Mitglied von Brith Shalom. Und so ging er erneut ins Exil, brach in die USA auf und wurde dort (und von dort aus) bis zu seinem Tod am 4. April 1972 in New York zu einer international anerkannten Größe der Neuen Musik.

Das erste bauhaus music weekend bot Wolpes Musik breiten Raum. Mit der Bühnenmusik zu Der eingebildete Kranke von Molière, mit zwei Werken für Klavier (das eine versonnen und zart, das andere aufwühlend, von purer Energie) und auch mit Liedern wie zwei seiner neu arrangierten jiddischen Volkslieder. Aufgeführt hat Wolpe diese einst im nämlichen Meistersaal – mit der großartigen Sängerin Raja Ermollnikoff. »Sie überlebte nicht«, sagt Michal Friedlander.

Die Pianistin Michal Friedlander spielt Werke, die schon vor 100 Jahren im Meistersaal erklangen.

Friedlander selbst gab als Pianistin bereits im Alter von 15 Jahren ihr Debüt in der Carnegie Hall mit einem Klaviertrio auf Einladung von Isaac Stern. Seitdem stehen Kammermusik und Begleitung im Mittelpunkt ihrer Laufbahn. Regelmäßig tritt sie als Solistin mit Orchestern in Deutschland und Israel auf. 2019 gründete sie mit ihrem Ehemann Karl-Heinz Steffens den Neuen Musikverein Berlin. Im Fokus ihres Interesses steht vor allem die jüdisch-deutsche Kultur in Berlin vom frühen 20. Jahrhundert bis in die 30er-Jahre.

Mit dem Blick zurück schärft das künstlerisch-wissenschaftliche Festival die Sicht auf die Gegenwart. In der inhaltlichen Reflexion und in der musikalischen Interpretation ist der Ansatz immer ein mindestens heutiger. Das zeigt sich zum Beispiel in der so zupackenden Darbietung des Brandenburgischen Konzerts Nr. 6 von Johann Sebastian Bach, dessen Kunst der Fuge am Bauhaus enorm prägend war. Das zeigt sich auch in der Geschichte vom Soldaten von Igor Strawinsky, dem der Architekt Max Bill attestierte, dieser gehöre wie etwa Picasso, Chaplin, Eiffel, Freud oder Edison »eigentlich auch zum Bauhaus«. Der Soldat, von dem mit sarkastischer Schärfe erzählt wird, verliert sich auf seiner Lebenswanderung. Er sucht, was er nicht hat, verwirft, was wertvoll und wichtig ist – und damit auch sein Glück.

Der Schauspieler Itay Tiran (bekannt unter anderem aus dem Burgtheater in Wien) leiht dem Soldaten Sepp eine Stimme – und dem Teufel auch. Die Musikerinnen und Musiker des Festivals, allesamt von ausgezeichneter Reputation, geben dem Gefühlswechselbad des Soldaten eine klanglich starke Kontur. »ʼs ist Krieg« – die Claudius’sche Klage scheint hier mehrfach unterstrichen. Krieg war und ist und tobt nicht selten auch im Menschen selbst.

GEGENWART Perspektiven für die Gegenwart eröffnete das bauhaus music weekend auch im Zusammenspiel mit Absolventinnen und Absolventen der Barenboim-Said Akademie und Schülerinnen und Schülern aus einem Leistungskurs Kunst. Das Melodram »Pierrot lunaire« von Arnold Schönberg bewegte junge Menschen zur eigenen Auseinandersetzung mit Werk und Autor.

Werkstattkonzert und Workshop fanden im temporary bauhaus-archiv statt, dem zeitweisen Zuhause des Bauhaus-Archivs. Noch zeigt sich dessen ursprünglicher Berliner Standort als Großbaustelle, doch der mehrstöckige durchlässig-weiße Turm leuchtet schon. Die Idee aus Weimarer Zeiten hat an Kraft nicht verloren.

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