Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Der Dirigent Lahav Shani in Aktion Foto: picture alliance/dpa

Lahav Shani muss in diesen Tagen ein Wechselbad der Gefühle durchleben. Am Donnerstagabend war der Dirigent mit dem Israel Philharmonic Orchestra, dessen musikalischer Leiter er noch bis zum kommenden Jahr sein wird, in Paris zu Gast.

Das Konzert im Großen Pierre-Boulez-Saal der Pariser Philharmonie war restlos ausverkauft. Doch nicht alle der rund 2400 Zuschauer waren gekommen, um sich an der Aufführung von Beethovens fünftem Klavierkonzert, das auch als »Kaiserkonzert« bekannt ist, zu erfreuen. Zwei Personen versuchten gar, mit Rauchbomben auf sich aufmerksam zu machen, was ihnen auch gelang. Shani und Star-Pianist András Schiff mussten mehrfach die Bühne verlassen.

Auf Videos, die am Freitag in den sozialen Netzwerken die Runde machten, ist ein Mann zu sehen, wie er wild gestikulierend auf der Empore einen sonst eher aus Fußballstadien bekannten Bengalo schwenkt. Wütende Konzertbesucher versuchen, den Mann abzudrängen. Er wird dafür nicht nur beschimpft, sondern auch mehrfach geschlagen.

Das Israel Philharmonic Orchestra sprach anschließend von »Störungen durch pro-palästinensische Demonstranten«. Nachdem die Unruhestifter aus dem Saal entfernt wurden, konnte das Konzert fortgesetzt werden. Es habe »in ruhiger Atmosphäre« geendet, so die Philharmonie de Paris in einer Erklärung, in der die Vorfälle »auf das Schärfste verurteilt« wurden. Nichts könne solche Handlungen rechtfertigen», so das Konzerthaus. Im Übrigen sei es «völlig inakzeptabel, die Sicherheit des Publikums, des Personals und der Künstler zu gefährden.»

Yonathan Arfi, der Vorsitzende des jüdischen Dachverbands CRIF, der selbst im Saal war, schrieb auf X: «Ehre gebührt den Musikern, die trotz der Unterbrechungen durch hasserfüllte Unruhestifter gespielt haben! Die zunehmenden Boykottaufrufe und Störungen sind inakzeptabel. Sie werden die von Hass betroffenen Künstler aber niemals daran hindern, vom Publikum bejubelt zu werden.» Arfi forderte harte Sanktionen gegen die Protestierer. Und er dankte der Philharmonie, dass sie sich dem Druck der Straße nicht gebeugt und das Konzert, wie von einigen im Vorfeld gefordert, abgesagt hatte.

Frankreichs Innenminister Laurent Nuñez war selbst nicht anwesend. Doch auch er verurteilte den Protest scharf. «Das ist durch nichts zu rechtfertigen», erklärte Nuñez auf X und dankte der Polizei, die nicht nur im, sondern auch vor dem Konzerthaus Präsenz gezeigt habe. Dort hatte die Gewerkschaft «CGT Spectacle» zu einem Protest gegen Shani und sein Orchester aufgerufen. Insgesamt vier Personen wurden vorübergehend festgenommen, wie die Staatsanwaltschaft später bekanntgab.

Die Tageszeitung «Le Figaro» berichtete am Freitag, einer der Verhafteten, der 20-jährige Yassire S., sei den Sicherheitsbehörden bereits zuvor bekannt gewesen. Er habe unter anderem Stinkbomben und rote Farbe bei sich gehabt. Bei dem Mann mit dem Bengalo handele es sich um den 31-jährigen Ahmed M., so das Blatt unter Berufung auf Polizeikreise.

Proteste auch in Köln

In den letzten Tagen war es auch bei Auftritten des israelischen Orchesters in Deutschland zu Zwischenfällen gekommen. In Köln störten zwei Personen das Konzert und mussten aus dem Saal geleitet werden. Zuvor hatte eine BDS-Gruppe aus Bonn zu einer Demonstration gegen das Philharmonieorchester aufgerufen. Ein Konzert der Israelis unter Leitung von Shani in der Hamburger Elbphilharmonie ging hingegen ohne nennenswerte Zwischenfälle über die Bühne, obwohl auch dort lautstarke Proteste angekündigt gewesen waren.

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Im September wurde ein lange geplanter Auftritt Lahav Shanis mit den Münchner Philharmonikern beim Flandern-Festival in Gent von den Veranstaltern kurzfristig abgesagt. Bei einem Ersatzkonzert in Berlin, wurde der künftige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker aber frenetisch gefeiert.

Auch in Paris endete der Abend mit Standing Ovations für Shani und sein Orchester. Nach einer Zugabe wurde sogar die Hatikva, die israelische Nationalhymne, gespielt. Das Israel Philharmonic will sich durch die Proteste nicht einschüchtern lassen. Man danke für die «Anteilnahme und Unterstützung aus der Ferne», schrieb es auf Instagram. Und man werde die Tournee wie geplant fortsetzen.

Solidarität erfuhren das Orchester und Shani auch vom deutschen Pianisten Igor Levit. «Es macht mich unendlich zornig, was Lahav Shani und die Musiker des Israel Philharmonic Orchestra während ihrer derzeitigen Europatournee immer und immer wieder erleben und ertragen müssen. Meine Solidarität gilt dem Orchester und seinem Chefdirigenten», schrieb Levit auf X.

Am kommenden Dienstag wird Igor Levit in der Münchner Isarphilharmonie anstelle von András Schiff am Klavier sitzen, um gemeinsam mit Shani und dem Israel Philharmonic Beethovens letztes Klavierkonzert aufzuführen. Dabeisein will dann auch Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU). Er kritisierte die Proteste scharf: «Die gehen kulturelle Einrichtungen aus Israel an, als wären diese offizielle Sprachorgane der Regierung Netanjahu.»

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