Sprachgeschichte(n)

»Bedarf men honig, as zucker is siss?«

Braucht man Honig, wenn Zucker süß ist? Foto: Getty Images/iStockphoto

Bei Daniel Sanders (1819–1897), der das Citatenlexikon verfasst hat, jene berühmte, zunächst 1899 (in Leipzig), 1922 in vierter unveränderter Auflage erschienene »Sammlung von Citaten, Sprichwörtern, sprichwörtlichen Redensarten und Sentenzen« und bei Georg Büchmann (1822–1884), der insbesondere als Herausgeber der umfangreichen Zitatensammlung Geflügelte Worte bekannt wurde, kommt der hohe Anteil jiddischer Sprichwörter nicht genügend zur Geltung.

Anders verhält es sich bei einem 1988 im Weiss Verlag in Dreieich erschienenen Nachdruck, der inzwischen als Lizenzausgabe vom Wiesbadener Fourier Verlag angeboten wird: Es handelt sich um Ignaz Bernsteins hervorragende Kollektion mit dem Titel Jüdische Sprichwörter und Redensarten, die dieser ursprünglich in zweiter Auflage 1907 vorgelegt hatte.

Bernstein sah sich zuvor veranlasst, wie er im Vorwort schreibt, sein »… damals noch sehr unvollständiges Manuskript an K. F. W. Wander zur Benutzung für sein großes ›Sprichwörter-Lexikon‹ (fünf Bände, Leipzig 1867–80) einzusenden, in welchem dann tatsächlich ein großer Teil meiner Sprichwörter aufgenommen worden ist«.

VERWANDTSCHAFT Bei Bernstein lesen wir beispielsweise das Sprichwort »Sei mir kein feter – ün zerreiss mir nit di schtiwel« mit der Erläuterung »Berufe dich nicht auf unsere Verwandtschaft – und verlange keine Gefälligkeiten von mir«.

Beim Germanisten Wander (1803–1879) lesen wir (im 4. Band in Spalte 1628), gekennzeichnet als von jüdisch-deutscher Herkunft, die leicht modifizierte Variante: »Sei mir kein Vetter ün nüh mir nit kein Stiefel« mit dem erläuternden Hinweis: »Ich will nicht dein Gutes und nicht dein Böses; ich will mit dir in keiner Beziehung stehen.«

»Die hohe sprachlich-formale Begabung, der zur Menschlichkeit aufrufende Glaube und die Tatsache, dass man auf der Seite der Verfolgten stand, prägte die Sprichwörter zu Dokumenten der Sehnsucht nach Frieden, nach Harmonie, nach der Lösung der Widersprüche durch Verantwortlichkeit« – so kennzeichnete auch der Autor und Regisseur Volker Dietzel seine 1987 erstmalig erschienene, aus dem Jiddischen übersetzte Sammlung von Sprichwörtern, der er den programmatischen Titel gab: Die ganze Welt steht auf der spitzen Zunge.

ORIGINAL 1984 erschien in Kanada im Verlag der University of Toronto, zusammengestellt von der Autorin und Übersetzerin Shirley Kumove, die Sammlung Words like Arrows. A Treasury of Yiddish Folk Sayings. Reinhard Ulbrich hat sie ins Deutsche übertragen und 1992 in Berlin unter dem Titel Ehrlich ist beschwerlich herausgegeben. Leider finden sich in der deutschen Version nur wenige eingestreute Originalsprichwörter; die wenigen kann man sich indes mit Vergnügen auf der Zunge zergehen lassen, zum Beispiel »As men ken nit bajsn, sol men nit wajsn di zejn« (Wer nicht beißen kann, soll nicht die Zähne zeigen).

»Eyb me hot gornit in kop, darf men hobn eppes in fis« (If you have nothing in the head, you have to have something in the feet. Beziehungsweise auf Deutsch: Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben): Jiddische Sprichwörter mit ihren englischen Übersetzungen finden sich in großer Zahl und amüsant erklärt in dem Buch von Lillian Mermin Feinsilver The Taste of Yiddish. A warm and humorous Guide to a Fascinating Language (South Brunswick/New York 1970/Nachdruck 1990: A. S. Barnes); ergänzend sei auf das Dictionary of Yiddish Slang & Idioms (1992) von Fred Kogos verwiesen.

Mit ihren subtilen Analysen und Interpretationen von 450 jiddischen Sprichwörtern öffnet die Autorin Ingeborg-Liane Schack den Blick für kultur- und religionsgeschichtliche Zusammenhänge; ihr 1977 erschienener Band trägt den Titel Der Mensch tracht un Got lacht und ist eine Fundgrube jüdischen Gedankenguts in volkstümlich-schlichtem Sprachgewand. Während wir fragen »Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nahe?«, heißt es im Jiddischen: »Bedarf men honig, as zucker is siss?« (Braucht man Honig, wenn Zucker süß ist?).

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  16.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  16.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  16.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025