Richard Wagner

Barfuß in Berlin

Premiere der »Meistersinger« am 12. Juni in der Deutschen Oper Berlin Foto: Thomas Aurin

Richard Wagner

Barfuß in Berlin

An der Deutschen Oper löst die Neuinszenierung der »Meistersinger von Nürnberg« kontroverse Reaktionen aus

von Joachim Lange  16.06.2022 07:20 Uhr

Wagners Meistersinger von Nürnberg aus dem Jahre 1868 haben es in sich. Das sollten sie auch 2022 haben, wenn sie an der Deutschen Oper in Berlin von den langjährigen künstlerischen Partnern Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viebrock vom Nürnberger Handwerkermilieu in eine Musikhochschule unserer Tage verlegt werden.

Wagners Rückwärts-Utopie im Gewand einer Nürnberg-Idylle hat Komödienpotenzial, aber auch Abgründe. Es geht um das Verhältnis von Tradition und Neuerung in der Kunst. Auf den ersten Blick ist Walther von Stolzing der vom Regelwerk unbelastete Neuerer. Immerhin gewinnt er den Sängerwettbewerb, obwohl er bei seiner »Bewerbung« krachend gescheitert war.

BECKMESSER Sein Rivale um Evas Hand, Sixtus Beckmesser (Philipp Jekal), wird nicht nur beim Wettsingen, sondern gleich ganz abserviert. Bei dieser Figur steht immer die Frage im Raum, ob er »nur« ein verballhornter Wagner-Kritiker war oder ob der Außenseiter als der Jude gemeint war, dessen Rausschmiss zum Kitt einer Gemeinschaft wird. All das ist er hier nicht. In der Neuinszenierung ist er ein noch nicht verstandener Neutöner.

Die Prügelei, die Beckmessers nächtlicher Auftritt am Ende des zweiten Aktes auslöst, mutiert daher nicht gleich (wie häufig) zu einem gewaltsamen Ausbruch der dunkelsten Seite des deutschen Unterbewusstseins. Diesmal bleibt es ein hochschulinternes nächtliches Konzert, bei dem das Publikum zunächst wegdöst, bis der zum Therapeuten mutierte Hans Sachs (zupackend in jeder Hinsicht: Johan Reuter) rabiat dazwischentrommelt.

Dem Schusterpoeten sind bei seinem Berufswechsel zum beliebten Hochschul-Physiotherapeuten seine Schuhe abhan­dengekommen. Frei nach dem Motto: kein Schuster, keine Schuhe. Warum allerdings am Ende alle mit hässlichen Kunststofflatschen ausgestattet sind, bleibt ein Geheimnis. Dafür hat Sachs (offenbar) ein handfestes Verhältnis mit Eva (etwas überaktiv: Heidi Stober).

Überzeugender gelingt die Szene, als Veit Pogner (Albert Pesendorfer) den absurden Vorschlag macht, seine Tochter als Siegesprämie für einen Wettbewerb auszusetzen. Hier war zumindest der weibliche Künstlernachwuchs sichtlich empört, beließ es dann aber bei einem Kopfschütteln und beschäftigt sich lieber mit sich selbst: jeder mit jedem, drüber und drunter. Selbst Eva und Sachs werden vom Drang zu erotischen Turnübungen erfasst.

HANS SACHS Als eine zum Nachdenken anregende Pointe in einer nicht durchgängig stringenten Inszenierung erweist sich die problematische Schlussansprache von Hans Sachs mit seiner Feier der deutschen Kunst beziehungsweise des Deutschen überhaupt. Walther schlägt ja bekanntlich nach seinem Sieg die Meisterwürde aus. Hier schnappt er sich Eva und stürmt mit ihr über den Saal hinaus an die frische Luft. Hans Sachs aber berauscht sich mit seiner Ansprache so, dass er damit die Massen wie ein Populist mitreißt!

Das ist so ein Moment, in dem die Inszenierung von beklemmender Aktualität ist. Immerhin ist den meisten Kollegen von Sachs das Entsetzen über die auflodernde nationale Euphorie anzusehen. Obwohl Sachs sich selbst anders verhält, wird damit bestätigt, was er vorher verkündet hat: »Verachtet mir die Meister nicht!«

Die Grundidee der Inszenierung ist durchaus plausibel, aber schon deutlich packender und sinnlicher umgesetzt worden. Im Detail bleibt vieles diffus, gerät beliebig oder aber übertrieben aktionistisch. Im Graben fangen Markus Stenz und das Orchester der Deutschen Oper krachend an, steigern sich aber.

Dass Walther von Stolzing der Sieger beim Wettsingen ist, war klar. Doch sein Interpret Klaus Florian Vogt lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nach wie vor der Stolzing vom Dienst ist. Am Ende gab es viel Beifall für die Protagonisten und ein Bravo- und Buhkonzert für das Inszenierungstrio wie in alten Zeiten. Eine Wagner-Premiere eben.

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

 29.06.2025

Glastonbury

Polizei prüft Videos der Festival-Auftritte auf strafrechtliche Relevanz

Festival-Organisatoren: Parolen von Bob Vylan hätten eine Grenze überschritten

 29.06.2025

Literatur

Österreicherin Natascha Gangl gewinnt Bachmann-Preis 2025

Ihr poetischer Text »DA STA« begibt sich auf die Suche nach den versteckten Spuren eines NS-Verbrechens

 29.06.2025