Finale

Ayalas Welt

Gilad Schalit bleibt wirklich nichts erspart. Nach fünf Jahren im Hamas-Kerker beobachten ihn nicht nur die israelischen Medien auf Schritt und Tritt. Nun muss sich der Arme auch noch Benimm-Ratschläge aus Regierungskreisen anhören. Meshulam Nahari, Minister der sefardisch-orthodoxen Schas-Partei, hat Schalit öffentlich gerügt, weil der junge Israeli seinen ersten Schabbat in Freiheit nicht in der Synagoge verbrachte, sondern – oj wej – an den Strand ging.

erweckung Nicht nach dem Geschmack des frommen Ministers: Schalit hätte am Schabbat im Gotteshaus erscheinen und dort das vorgeschriebene Dankgebet jüdischer Gefangener nach ihrer Befreiung sprechen sollen, kritisierte er. »Diese Leute müssen erweckt werden«, so seine Schlussfolgerung. Naharis Chef, Rabbiner Owadja Josef, das geistliche Oberhaupt der Schas-Partei, habe den jungen Mann deshalb eingeladen, ihn zu Hause zu besuchen und dort (»fernab von den Augen der Medien«) das Dankgebet zu sprechen.

Vielleicht wäre es netter gewesen, wenn der Schas-Mann Schalit ein bisschen Zeit gegeben hätte, sich wieder an den Alltag zu gewöhnen – eine Erweckung, so kurz nach mehrjähriger Geiselhaft, würde der Seele des jungen Menschen vermutlich nicht guttun. Und warum konnte der Minister seine Einladung nicht diskret überbringen, »fernab von den Augen der Medien«?

So recht verstehen kann ich auch nicht, warum ausgerechnet Schalit als negatives Beispiel herhalten musste. Schließlich ist die Welt voll von undankbaren Juden, die Grund genug hätten, das eine oder andere Gebet zu sprechen. Die erfolgreiche Herzschrittmacher-Operation, die arbeitsrechtlich unanfechtbare Kündigung des Gemeinderabbis, der Auszug des verwöhnten Sohnes aus dem »Hotel Mama«, die glückliche Scheidung – die Synagogen müssten am Schabbat eigentlich zum Bersten voll sein. Doch nur an drei Tagen im Jahr laufen die Juden gebetsmäßig zur Höchstform auf, an-sonsten machen sie sich rar.

u-bahn Dabei hätten gerade wir Diasporajuden es doch so leicht, zumindest in Großstädten mit funktionierenden öffentlichen Personennahverkehrssystemen. Rabbiner Moshe Feinstein seligen Angedenkens, ein orthodoxer amerikanischer Toragelehrter, hat vor Jahren bereits halachisch geurteilt, dass man am Schabbat auch mit dem Bus, der Tram oder der U-Bahn in die Synagoge fahren darf. Vorausgesetzt, man nutzt dafür eine Wochen- oder Monatskarte (wegen des Verbots finanzieller Transaktionen am Ruhetag) und verlässt nicht die Stadtgrenzen über einen Umkreis von 1.000 Metern hinaus. (Für Berliner: Tarifzone AB ist koscher.) Also, Juden, wo ist das Problem? Ich für mein Teil werde am nächsten Schabbes mit der S-Bahn in die Oranienburger Straße fahren, in Berlins schönste Synagoge. Wofür ich mich dort bedanke, verrate ich aber nicht.

Fernsehen

Er ist nicht Leonard Cohen und sie ist nicht Marianne

Warum eine Serie über die legendäre Lovestory von Leonard Cohen und Marianne Ihlen scheitern musste

von Maria Ossowski  02.10.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Champagner, Honig oder beides? Wie Rosch Haschana gelingt

von Nicole Dreyfus  02.10.2024

Zahl der Woche

72 Granatäpfel

Fun Facts und Wissenswertes

 02.10.2024

Aufgegabelt

Granatapfel-Gelee

Rezepte und Leckeres

 02.10.2024

Kolumne

Anwesenheit zählt

Eine Agnostikerin in der Dohány-Synagoge in Budapest

von Ayala Goldmann  01.10.2024

Meinung

Cem Özdemir, Diskursganoven und worüber eben doch gesprochen werden sollte

Ein Gastbeitrag von Rebecca Schönenbach

von Rebecca Schönenbach  01.10.2024

Gespräch

»In einer Welt ohne Israel kann ich nicht leben«

Leon Kahane über destruktive Dynamiken, Erlösungsfantasien und Antisemitismus im Kunstbetrieb

von Eugen El  01.10.2024

Literatur

Dana Vowinckel bekommt Buchpreis »Familienroman 2024«

Sie wird für ihren ersten Roman »Gewässer im Ziplock« ausgezeichnet

 30.09.2024

Kino

Liebhaber des Wahnsinns

Regisseur Todd Phillips widmet sich menschlichen Abgründen. Das zeigt er auch in der Fortsetzung von »Joker«

von Jens Balkenborg  27.09.2024