Studie

Aus Liebe zum Führer

Foto: Wallstein

Studie

Aus Liebe zum Führer

Die Historikerin Katja Kosubek erklärt in ihrem neuen Buch, warum Frauen Mitglied in der NSDAP wurden

von Wolf Scheller  27.11.2017 18:18 Uhr

Sie schwärmten für den »Führer«. Ihre Begeisterung kannte kaum Grenzen, wenn sie in seine Nähe kamen und er zu ihnen sprach. Es waren nicht nur die ältlichen Damen, die hinter den Verkrampftheiten und Komplexen in der Anfangszeit des jungen Redners die Suche nach Geborgenheit witterten. Später waren es vor allem junge, energische Frauen, die ihr Leben der »Bewegung« verschrieben und in die Partei Hitlers drängten, es ihren Männern gleichtun wollten.

Dabei hatte ihr Idol schon frühzeitig die Grenzen seiner Toleranz für das andere Geschlecht abgesteckt, als er sich im privaten Kreis äußerte: »Ein Frauenzimmer, das sich in politische Sachen einmischt, ist mir ein Gräuel« Und: »Wenn eine Frau in den Fragen des Daseins zu denken beginnt, das ist schlimm. Da können sie einem auf die Nerven gehen.«

Aufsätze Nun aber hat die Historikern Katja Kosubek einen nahezu sensationellen Fund gemacht, der erstmals authentisch die Motivation und Vorgehensweise jener Frauen sichtbar macht, die in der Frühzeit ihre politische Zukunft in der NSDAP suchten. Es handelt sich um die Texte eines Aufsatzwettbewerbs zum Thema »Warum ich vor 1933 in die NSDAP eingetreten bin«, die 80 Jahre lang unbeachtet in der Abel Collection im Archiv der amerikanischen Stanford University lagerten – 683 Schreiben begeisterter Nationalsozialisten, darunter 36 von Frauen.

Den Aufsatzwettbewerb hatte der amerikanische Soziologe und polnische Emigrant Theodore Abel 1934 – mit der Erlaubnis von Propagandaminister Goebbels – initiiert, um Daten und Fakten über die Beweggründe der Deutschen zu sammeln, die Hitler folgten.

Abel hat daraus ein Buch gemacht, Why Hitler Came into Power, eine Studie, die 1938 erschien, über die Wirren der politischen Entwicklung aber in Vergessenheit geriet. Jetzt hat Katja Kosubek diese autobiografischen Essays aus der Frühzeit des Nationalsozialismus als Quellenedition mit dem Titel »Genauso konsequent sozialistisch wie national«. Alte Kämpferinnen der NSDAP vor 1933 erstmals in ihrer Dissertation publiziert. Es ging ihr dabei nicht nur um die Motive dieser Frauen, die in der Männerpartei Hitlers zahlenmäßig zwar kaum ins Gewicht fielen, aber als eigenständige Persönlichkeiten unbefangen ihre Faszination von der Idee der »Volksgemeinschaft« skizzieren.

Begeisterung »Alte Kämpferinnen« durften sie sich nennen, weil sie der NSDAP schon vor 1928 beigetreten waren. Es sind durchweg keine Beichten. Die Autorinnen wussten zum Zeitpunkt der Niederschrift nicht, wie sich Hitler und seine Partei entwickeln würden.

Aber an der Begeisterung für die NS-Ideologie bestand kein Zweifel. Kosubek: »Offenbar hat die NS-Bewegung etwas Attraktives gehabt, das die Durchschnittsfrauen zwischen 17 und 70 Jahren, unter ihnen Mütter, Krankenschwestern und Schreibkräfte, motivierte, sich im Schatten dieser Männerpartei massiv zu engagieren.« Und weiter: »Als Multiplikatorinnen haben sie den Boden für Hitlers Aufstieg bereitet.«

Die Arbeit der Historikerin räumt indes auch mit der tradierten Vorstellung auf, derzufolge die nationalsozialistische Ideologie den Frauen als Aufgaben nur Küche und Kind, Mutterschaft und Rassenzüchtung zugewiesen habe. Das passte zwar auf den ersten Blick zum männerbündischen, alte Vorurteile mitschleppenden Charakter der Hitler-Bewegung. Aber an den verblüffenden Wahlerfolgen der NSDAP von 1930 bis 1933, dem scharf ansteigenden Anteil von NS-Frauenstimmen, lässt sich ablesen, dass der Hitler-Nimbus und die von ihm ausgehende Faszination nichts von ihrer Wirkung eingebüßt hatten.

patriotinnen Die Frauen – also die »alten Kämpferinnen« –, die der Partei in ihrer Frühzeit beigetreten waren, sahen sich als den Männern gleichwertige Patriotinnen. Viele kamen aus einem nationalbürgerlichen Elternhaus, versehen mit einem tief sitzenden Groll gegenüber den Kommunisten und einer fest verwurzelten antisemitischen Einstellung. 1939 gehörten dann nicht weniger als 20 Millionen Frauen den verschiedenen nationalsozialistischen Organisationen an. Aber keine einzige Frau saß in einem der Entscheidungsgremien auf der obersten Ebene der NS-Hierarchie.

Katja Kosubeks Arbeit ist ein großer Wurf für die NS-Forschung. Sie widerlegt die Annahme, dass die weibliche Sichtweise auf Hitler und dessen Ideen allenfalls ein Echo männlicher Wahrnehmung darstellt.

Katja Kosubek: »›Genauso konsequent sozialistisch wie national‹. Alte Kämpferinnen der NSDAP vor 1933«. Eine Quellenedition 36 autobiographischer Essays der Theodore-Abel-Collection. Wallstein, Göttingen 2017, 608 S., 42 €

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt, wie die von Sophie von der Tann, sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  16.04.2025

Serie

»Inglourious Basterds«-Star spielt in »Fauda« mit

Sicher ist, dass die fünfte Staffel von »Fauda« kommt. Unsicher ist noch, welche Rolle die Französin spielen wird

 15.04.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 17. April bis zum 1. Mai

 15.04.2025

Graphic Novel

»Lodzia und Marysia« erzählt Geschichte von Schoa-Überlebenden

Das Buch widmet sich dem Leben von Leokadia Justman und ihrer Freundin im Nationalsozialismus. Verfolgung, Flucht und Mut stehen im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Comics.

 15.04.2025

Europa

Spanien stellt Teilnahme Israels am Musikwettbewerb ESC infrage

Beim Eurovision Song Contest soll es eigentlich um Musik gehen. Doch die Politik spielt immer öfter mit hinein. Aktuell droht eine neue Debatte um Israel. Grund ist der Krieg im Gazastreifen

 14.04.2025