Psychologie

Warum Eltern ihre Kinder so häufig im Auto vergessen – und was sich dagegen tun lässt

Ausgerechnet Sicherheitsvorschriften führen oft zum Übersehen von Kindern. Foto: Thinstock

Als im Juli in Israel zwei kleine Kinder innerhalb von 24 Stunden starben, weil sie von ihren Eltern bei großer Hitze im Auto vergessen worden waren, rückte eine vom Verkehrsministerium einberufene Konferenz in den Blick der Öffentlichkeit.

Die israelische Regierung möchte nämlich – weltweit einmalig – Standards für ein Warnsystem einführen, mit dem das, was in den USA als FBS (Forgotten Baby Syndrome) bekannt ist, verhindert werden kann. Nach Angaben der Kinderschutzorganisation »Safe Kids Israel« mussten seit 2008 205 Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren aus Autos gerettet werden, von denen zwölf starben. Nun soll ein im hinteren Teil des Wagens installiertes System Fahrer dazu zwingen, zu überprüfen, ob wirklich niemand mehr im Wagen ist.

Rücksitz Die Idee der beiden auf Sicherheitstechnik spezialisierten Firmen Dan und Ituran ist simpel: Um den Diebstahlalarm zu aktivieren, muss der Fahrer ihn im hinteren Bereich des Wagens einschalten – dabei würde er ein auf dem Rücksitz vergessenes Kind unweigerlich sehen. Auf Initiative der Knessetabgeordneten Orly Levi-Abekassis soll FBS künftig außerdem offiziell als Autounfall gelten. Dadurch könnten Versicherungsgesellschaften von Kunden, die regelmäßig Kinder transportieren, die Installierung eines Warnsystems verlangen.

Wie schnell Kinder in tödliche Gefahr geraten können, zeigte bereits 2001 eine Studie des Autoherstellers General Motors. Demnach erreicht bei einer Außentemperatur von 35 Grad die Temperatur im Auto bereits nach 20 Minuten 50 Grad, nach einer knappen Dreiviertelstunde beträgt sie 65,5 Grad. Für kleine Kinder sind solche Temperaturen rasch tödlich, denn ihre Körpertemperatur steigt fünfmal so schnell an wie die von Erwachsenen. Zusätzlich macht Wärme schläfrig, die Kleinen nicken in ihren Sitzen oft ein, sodass Eltern nicht durch Schreien, Weinen oder Rufen gewarnt werden.

Der US-Journalist Gene Weingarten ging 2009 in seiner mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Reportage »Fatal Distraction« den Ursachen für das oft tödliche Vergessen von Kindern in Autos auf den Grund. Und stellte fest, dass die Eltern keine bösartigen Monster sind, sondern ganz normale Menschen. Ein Anwalt, ein Rabbiner, ein Manager gehörten ebenso zu jenen, die den Tod ihres Kindes verschuldet hatten, wie Hausfrauen, Bankkauffrauen und Managerinnen.

Nachtschicht Weingartens Text enthält Geschichten wie die des Vaters, der nach der Arbeit losfährt, um sein Kind von der Babysitterin abzuholen – und nicht merkt, dass es tot im Kindersitz hinter ihm sitzt, weil er es bereits vor Stunden im Wagen vergessen hat. So ähnlich erging es auch dem Vater eines der beiden im Juli im Auto gestorbenen israelischen Kinder. Der Security-Mitarbeiter hatte nach seiner Nachtschicht die ältere Tochter in den Kindergarten gebracht, bei der Rückkehr nach Hause jedoch vergessen, dass das fünf Monate alte Baby noch im Auto saß, und war schlafen gegangen.

Die Gründe für die steigende Anzahl von vergessenen Kindern sind laut Weingarten ausgerechnet die Vorschriften, die das Autofahren für Kleinkinder sicherer machen sollten, sowie der technische Fortschritt. Dadurch, dass Säuglingstragen und Kindersitze nicht mehr auf dem Vordersitz installiert werden dürfen, kann ein schlafendes Kind auf dem Rücksitz viel leichter übersehen werden. Vor allem dann, wenn das Auto nicht mehr von Hand verschlossen werden muss, wobei zwangsläufig ein Blick in den Innenraum geworfen würde, sondern im Weggehen mit einem Klick auf die Fernbedienung versperrt wird.

Die meisten Menschen glauben, es könne »vorkommen, ein Kind ein oder zwei Minuten lang im Auto zu vergessen, aber doch nicht stundenlang«, sagt Janette Fennell von der Organisation »Kids and Cars«. Das Problem ist allerdings, dass die Eltern fest davon ausgehen, dass sie ihr Kind in die Krippe oder zur Tagesmutter gebracht haben.

Gedächtnis Der Grund sind nicht Unfähigkeit oder Alkoholmissbrauch, sondern die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses, stellt David Diamond, Molekularbiologe an der Universität von South Florida, fest.

In gewohnten Situationen, die routiniert erledigt werden – wie dem Steuern eines Autos –, schalte das Gehirn auf Autopilot, weswegen man oft keine bewusste Erinnerung daran habe, wie man eine alltägliche Fahrt von A nach B absolviert hat. Faktoren wie Stress, ein unvorhergesehener Termin oder der bei Familien mit Kleinkindern nicht seltene Schlafmangel können auch bei Eltern, die äußerst besorgt um das Wohl ihres Kindes sind, dazu führen, dass sie schlicht und einfach vergessen, dass es sich noch im Auto befindet. Sicher vor diesem tödlichen Fehler könne im Prinzip niemand sein, warnt Diamond: »Wer in der Lage ist, sein Handy zu verlegen, ist auch in der Lage, sein Kind im Wagen zurückzulassen.«

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