Förderpraxis

Auf unerschlossenem Terrain

Soll ein Kernphysiker, der sich antisemitisch geäußert hat, Fördergelder vom Staat bekommen? Gilt dasselbe für einen Vertreter der Postcolonial Studies? Und kann Antisemitismus überhaupt »zu Ende« bekämpft werden? Diesen und anderen Fragen widmete sich die gut besuchte juristische Fachtagung »Kein Geld für Antisemitismus – Möglichkeiten und Grenzen des Zuwendungs- und Gemeinnützigkeitsrechtes«, zu der das Tikvah Institut und die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) eingeladen hatten. Im großen Saal der KAS-Akademie begann am Montagnachmittag der juristische Teil, während am Abend Politiker über die praktische Umsetzung (und vieles andere) mehr diskutierten.

Bei insgesamt acht »Inputs« namhafter Juristinnen und Juristen ging es um Optionen – und auch um Bedenken –, die Finanzierung antisemitischer Inhalte durch den Staat per Gesetz beziehungsweise Verwaltungsvorschrift oder eine andere Form von Klausel zu verhindern. Ein Gebiet, das juristisch gesehen unerschlossen ist, wie mehrere Redner feststellten, und ein politisches Unterfangen, an dem sich Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) vergeblich versucht hat.

Seine Anfang des Jahres wieder zurückgenommene Antisemitismusklausel hätte Empfänger von öffentlichen Fördergeldern unter anderem zum Bekenntnis gegen Antisemitismus verpflichtet. Als Grundlage hatte Chialo die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) genannt.

Regelung in Schleswig-Holstein »heimlich und unter dem Radar«

Unterdessen war in Schleswig-Holstein »heimlich und unter dem Radar« bereits 2023 eine ähnliche Regelung eingeführt worden – die allerdings (nach dem Scheitern der Chialo-Klausel und einem daraufhin eingeholten juristischen Gutachten) umformuliert und an diesem Dienstag dem Kabinett in Kiel zur Beratung vorgestellt werden sollte, bevor sie dem Landesparlament vorgelegt werden kann. Über diesen Stand der Dinge informierte Philipp Salomon-Menger vom Referat für Kulturentwicklung und Religionsangelegenheiten in Schleswig-Holstein während der Tagung in Berlin.

Auch Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) macht mittlerweile mit Plänen für eine Regelung von sich reden, und zwar mithilfe des Paragrafen 23 der Landeshaushaltsordnung. Bei der Prüfung von Anträgen auf staatliche Fördermittel solle laut einem dpa-Bericht bei »entsprechenden Anhaltspunkten« bei zuständigen Verfassungsschutzabteilungen angefragt werden, ob zu den Antragstellern Erkenntnisse vorliegen, dass sie extremistische Bestrebungen verfolgen. An solchen Überlegungen für den Kulturbereich übten mehrere Redner allerdings scharfe Kritik.

Zum Auftakt der Tagung erinnerten Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, und Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, an die Dringlichkeit, gegen Judenhass im öffentlichen Raum vorzugehen.

»Antisemitismus darf keine ›Meinung‹ sein, die der Staat finanziell fördert.«

Daniel Botmann

»Im Kulturbereich war die documenta nur ein besonders drastisches Beispiel dafür, wie offen antisemitische Karikaturen und Narrative im Kulturbereich zur Schau gestellt werden. Und das besonders Perfide dabei ist, dass die Antisemiten von heute allen Ernstes behaupten, dass ihre antisemitischen Umtriebe nicht antisemitisch sind«, betonte Botmann. Antisemitismus dürfe keine »Meinung« sein, die der Staat auch noch finanziell fördere. Zudem werde es höchste Zeit, die Antisemitismus-Definition der IHRA rechtlich verbindlich zu verankern.

In beiden Punkten erntete Botmann Widerspruch von anderen Juristen. Der Freiburger Rechtsanwalt Patrick Heinemann vertrat die Auffassung, Antisemitismus sei eine Meinung, die vom Grundgesetz gedeckt werde. Und Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität sagte, er wisse, dass Jüdinnen und Juden derzeit harte und brutale Erfahrungen machten, behauptete aber später in seinem Vortrag, 99,9 Prozent der Beteiligten im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb seien keine Antisemiten.

Möllers, Mitglied im Expertengremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der documenta 15 und Autor des im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth erstellten Rechtsgutachtens »Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung«, unterstrich, er sei nicht prinzipiell gegen Klauseln, aber es müssten Werke und nicht Gesinnungen im Vordergrund stehen. Außerdem bestehe die Gefahr, dass gesetzliche Regelungen eher Symbole seien, ohne tatsächlich vollzogen werden zu können. Auch müssten Denunziantentum und Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs verhindert werden.

Die Mittel des Rechtsstaats und die documenta 15

Patrick Heinemann wiederum kritisierte beim Streitgespräch mit Möllers, bei der documenta 15 habe der Rechtsstaat seine Mittel nicht ausgeschöpft, um gegen eindeutig antisemitische Kunstwerke vorzugehen, die etwa Juden mit Hakennase und SS-Runen zeigten. Warum habe die Stadt Kassel solche Werke nicht einfach abgehängt und dies vor Gericht auch durchgefochten?

Volker Beck, Leiter des Tikvah Instituts, beklagte, im Kulturbetrieb gebe es inzwischen Räume, »in denen israelische oder antisemitismuskritische Künstler nur noch vorkommen, wenn sie sich nicht entsprechend äußern. Sobald sie sich israelsolidarisch äußern, werden sie gecancelt«.

Volker Beck beklagte, im Kulturbetrieb gebe es Räume, in denen Künstler gecancelt werden, sobald sie sich israelsolidarisch äußern.

Hat Beck im Kampf gegen diesen Zustand nun den Stein der Weisen gefunden? Auch das Tikvah Institut möchte den Paragrafen 23 der Berliner Landeshaushaltsordnung ändern, allerdings durch folgende Formulierung: »Die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Es ist Aufgabe des Staates zum Erhalt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind, aktiv zu bekämpfen. (…) Insbesondere stehen antisemitische, rassistische und sonstige menschenverachtende Konzepte wie sonstige Inhalte, die mit der Menschenwürde nicht vereinbar sind und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen, einer Zuwendung entgegen.«

Möllers wollte sich nicht darauf festlegen lassen, ob diese Formulierung gerichtsfest sei. Und Nina Keller-Kemmerer von der Justus-Liebig-Universität Gießen schlug eine andere Lösung vor, nämlich eine Änderung der Förderrichtlinien, die als Eingriff in das Verwaltungsrecht keiner parlamentarischen Zustimmung bedürfe.

Das Spannungsrecht zwischen Kunstfreiheit und dem Diskriminierungsverbot im Grundgesetz werde sich nie auflösen lassen. Es werde niemals diskriminierungsfreie Kunst geben, genauso wenig, wie sich das Problem des Antisemitismus endgültig lösen lasse. Dennoch sei der Staat in der Pflicht und die Einführung von Klauseln gegen Antisemitismus und Antidiskriminerung in staatlichen Förderrechtlinien nicht nur zulässig, sondern auch geboten.

Wer als Nicht-Jurist am Ende der Tagung nicht klüger war als vorher, sollte vielleicht statt zur Landeshaushaltsordnung zur Mischna greifen. Und die Seite aufschlagen, wo geschrieben steht: »Es ist uns aufgetragen, am Werk zu arbeiten, aber es ist uns nicht gegeben, es zu vollenden.«

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