BDS

»Antisemitismus ist keine Frage der Kunstfreiheit«

Stefanie Carp Foto: dpa

Die israelische Botschaft in Deutschland und mehrere jüdische Verbände in Nordrhein-Westfalen haben die Ruhrtriennale für eine geplante Podiumsdiskussion über die Kunstfreiheit scharf kritisiert. Man unterstütze zwar die Idee, verschiedene Friedenskonzepte, Ansätze und Wege zu diskutieren, auch mit Menschen, deren Meinung man nicht teile, teilte die israelische Botschaft am Donnerstag mit. »Wir werden jedoch nicht das Existenzrecht Israels diskutieren«, erklärte eine Botschaftssprecherin dem Bericht zufolge.

Mit einer Podiumsdiskussion zur Freiheit der Künste will die Intendantin der Ruhrtriennale, Stefanie Carp, auf eine Antisemitismus-Kontroverse im Vorfeld der Kulturveranstaltung reagieren. Die Einladung, Ausladung und schlussendliche Wiedereinladung der schottischen Band »Young Fathers« hatte zuvor für massive Kritik gesorgt. Die Band hatte sich nicht von der umstrittenen israelfeindlichen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment, Sanctions) distanziert und die Wiedereinladung zu dem Ruhr-Festival abgelehnt.

Wiedereinladung Auf dem Podium sitzen laut Ankündigung der Ruhrtriennale neben Carp die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), der belgische Choreograf und Regisseur Alain Platel, der New Yorker Komponist Elliott Sharp und der Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer der Ruhrtriennale, Michael Vesper. Pfeiffer-Poensgen hatte die Wiedereinladung der Band »Young Fathers« ebenso wie die jüdischen Verbände kritisiert.

Die israelische Botschaft war nach eigenen Angaben ebenfalls zur Podiumsdiskussion eingeladen, lehnte die Teilnahme allerdings ab. Enttäuscht sei man darüber, dass »BDS und seine Vertreter hier wieder eine Bühne und damit eine falsche Legitimität erhalten, insbesondere wenn die Bühne von einer staatlich geförderten Veranstaltung zur Verfügung gestellt wird«, so die israelische Botschaft.

Die jüdischen Verbände in NRW hatten am Mittwoch kritisiert, dass an der Podiumsdiskussion keine jüdischen Vertreter teilnehmen. »Die Diskussionsrunde findet nämlich – aus Zufall oder Ignoranz – an einem Samstag, dem jüdischen Ruhetag Schabbat, statt, so dass selbst bei einer Einladung an uns kein gläubiger Jude daran teilnehmen könnte«, heißt es in einem Offenen Brief an Carp, den die Landesverbände der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, von Westfalen-Lippe und der Progressiven Jüdischen Gemeinden sowie die Synagogen-Gemeinde Köln unterzeichneten.

appell Es scheine, als wolle die Intendantin die Kritik an ihrem Umgang mit dem Vorwurf des Antisemitismus nicht hören und sich stattdessen Zustimmung vonseiten der Künstlerschaft und des Kulturbetriebs verschaffen, erklärten die Verbände und betonten: »Antisemitismus ist keine Frage der Meinungs- und Kunstfreiheit.«

»Als Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in NRW«, heißt es in dem Offenen Brief weiter, »appellieren wir an Politik und Gesellschaft, den bereits zur Normalität gewordenen Antisemitismus – sei es von der BDS-Bewegung, sei es von links oder rechts des politischen Spektrums – gleichermaßen zu bekämpfen. Eine eindeutige Positionierung der kulturpolitischen Verantwortlichen ist wertlos ohne die notwendigen Konsequenzen. Daher fordern wir alle gesellschaftlichen Kräfte auf, Farbe zu bekennen. Erheben Sie Ihre Stimme, wann und wo immer Sie können!«

diffamierung Die BDS-Bewegung wurde im Jahr 2005 auf den Aufruf von über 170 palästinensischen Nichtregierungsorganisationen hin ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, durch gezielte Boykottaufrufe Israel international zu isolieren und als angeblichen »Apartheidstaat« zu diffamieren. Dabei hat sie sowohl israelische Firmen und Institutionen als auch Wissenschaftler und Künstler im Visier.

In der deutschen Politik ist die BDS-Bewegung aufgrund ihres von Experten als antisemitisch charakterisierten Engagements in jüngster Zeit zunehmend unter Druck geraten. Auf ihrem Parteitag Ende 2015 verabschiedete die CDU einstimmig eine deutliche Resolution gegen BDS.

Der Aufruf zum Boykott israelischer Waren sei »nichts anderes als plumper Antisemitismus, wie ihn schon die Nationalsozialisten instrumentalisiert hatten«, begründete die Partei ihren Beschluss. Die Berliner SPD folgte im vergangenen Jahr.

Nazizeit Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, verurteilt die BDS-Bewegung ebenfalls. »Ich halte BDS für eine antisemitische Strömung«, sagte Klein jüngst im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. »Mit ihren Boykott-Forderungen gegenüber Israel agiert sie mit Argumentationsmustern aus der Nazizeit, die schlichtweg unerträglich sind.«

Die diesjährige Ruhrtriennale unter dem Titel »Zwischenzeit« soll im Zeichen von Migration und Vertreibung stehen. Vom 9. August bis zum 23. September werden mehr als 920 Künstler aus rund 30 Ländern Industrieplätze im Ruhrgebiet bespielen. epd/ppe

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025