Jerusalem

Antike Vanillenote

Im Altertum wurde Wein in Tonkrügen gelagert. Foto: Getty Images

Jerusalem

Antike Vanillenote

Israelische Wissenschaftler haben den Genuss aromatisierten Weins vor über 2000 Jahren nachgewiesen

von Paul Bentin  24.04.2022 06:04 Uhr

Manchmal können sie ziemlich nerven. Gemeint sind die echten oder selbst ernannten Weinexperten, die einem ständig erzählen müssen, welche Aromen sie gerade beim ersten Schluck herausgeschmeckt haben – Aprikose, Zimt oder Schiefer.

Dabei lassen sich die vielfältigen Aromen jedes Weines grob in drei Kategorien aufteilen. Die primären, die von den Trauben selbst stammen und mal fruchtig, mal erdig ausfallen können. Sekundäre entstehen bei der Gärung und können mineralisch oder würzig sein, und zu guter Letzt bilden sich tertiäre im Holzfass oder in der Flasche. Ihre Bandbreite reicht dann von Kakao bis hin zu Karamell oder Herbstlaub.

Oder es findet eine gezielte Aromatisierung statt, beispielsweise mit Vanille. Was bei Glühwein gang und gäbe ist, würde im Fall von Qualitätsweinen nicht nur von Puristen als ein Sakrileg betrachtet werden.

TONKRÜGE Dabei war das vor über 2000 Jahren wohl eine gängige Praxis, wie Wissenschaftler der Universität Tel Aviv sowie der israelischen Altertumsbehörde jetzt herausfanden. Sie hatten südlich des Tempelbergs in der Davidsstadt im Jerusalemer Stadtteil Silwan zahlreiche, bei Ausgrabungen neu entdeckte Tonkrüge aus babylonischer Zeit näher unter die Lupe genommen und festgestellt, dass einige davon, in denen Wein gelagert wurde, auch Spuren von Vanille aufwiesen.

»Diese Funde zeigen uns, dass die Bewohner dieser Gegend in Jerusalem im späten 7. Jahrhundert vor der Zeitrechnung recht wohlhabende Leute gewesen sein mussten«, bringt es Yiftah Shalev auf den Punkt. Denn Vanille war schon in der Antike ein sehr teures Gewürz. Zudem musste es von weit her importiert werden, entweder aus Ostafrika oder aus Indien.

Vanille war schon damals ein sehr teures Gewürz und musste von weit her importiert werden.

»Deshalb verfügten sie über Geld und waren aller Wahrscheinlichkeit nach im überregionalen Handel mit der arabischen Halbinsel aktiv«, so der Mitarbeiter der Altertumsbehörde. »Sie konnten sich also Dinge leisten, die damals prestigeträchtig und angesagt waren. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Wein geschmeckt haben kann, aber er war gewiss hochwertig.«

STATUS Fundort sowie Siegel in Form von Rosetten auf den Keramik-Überresten deuten ebenfalls darauf hin, dass die Genießer des Weins zur privilegierten Verwaltungskaste des Königreichs Juda gehörten, die so ihren gesellschaftlichen Status zur Schau stellten.

»Die Untersuchungsergebnisse der organischen Rückstände erlauben es, mit Sicherheit zu sagen, dass die Tonkrüge Wein enthielten, der mit Vanille gewürzt war«, weiß auch Ayala Amir, Doktorandin an der Fakultät für Archäologie und altorientalische Studien an der Universität Tel Aviv, zu berichten.

Seit jeher werden dem Rebensaft Aromen zugesetzt, um den Geschmack zu verändern.

Das ist eigentlich nichts Neues. Seit Jahrtausenden werden Aromastoffe dem Rebensaft zugesetzt, um den Geschmack zu verändern oder das Getränk optisch und olfaktorisch aufzuwerten.

In überlieferten Texten ist deshalb viel die Rede von Pfeffer, Myrrhe und auch Drogen, die man dem Wein hinzufügte. Die Römer nahmen gerne Honig und Süßholz, die Griechen nutzen bis heute Harz – wie beim Retsina, dem klassischen griechischen Weißwein.

GEWÜRZE »Die Profile der Krüge mit den Nummern 170571 und 170483 ähneln denen der Krüge aus Megiddo, die von Linares et al. analysiert wurden. Sie wiesen nach, dass die Vanille in der Mittleren Bronzezeit III (ca. 1600 v.d.Z.) in die Levante importiert wurde, lange bevor sie in der Neuen Welt domestiziert wurde«, schrei­ben die israelischen Wissenschaftler in der Präsentation ihrer Forschungsergebnisse in der Fachpublikation »Plos One«.

»In letzter Zeit aber häufen sich die archäologischen Belege für die Aromatisierung von Wein mit exotischen Gewürzen«, heißt es an anderer Stelle. »Bei der DNA-Analyse mehrerer ägäischer Amphoren aus dem 5. bis 3. Jahrhundert v.d.Z. wurden in gleichen Gefäßen Reste von Weintrauben und Kräutern gefunden.«

Gesellschaftliche Ereignisse oder religiöse Zeremonien, bei denen viel Wein getrunken wurde, gab es in etlichen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum, selbstverständlich auch in Jerusalem. Im Psalm 104 ist von Gott als Schöpfer des »Weines, der das Herz des Menschen erfreut, damit sein Gesicht von Öl erglänzet«, die Rede. Und in Amos 6 heißt es weniger schmeichelhaft: »Ihr grölt zum Klang der Harfe, ihr wollt Lieder erfinden wie David, ihr trinkt den Wein aus großen Humpen.«

Die heutzutage einzig gängige Form der Aromatisierung ist das sogenannte Barrique.

Selbstverständlich werden auch in der Gegenwart zu solchen Anlässen gern ein paar Gläser Wein getrunken – nur das Aromatisieren ist ein schwieriges Thema: Zumeist ist es sogar verboten. Die einzig gängige Form der Geschmackszufügung ist das sogenannte Barrique. Gemeint sind damit Holzfässer, die von innen getoastet, also quasi geröstet, wurden. Auch die Zugabe von Spänen ist eine Option.

Abhängig davon, was zum Einsatz kam, gibt das Holz dann Gerbstoffe frei, wodurch das Aroma von Vanillin erzeugt wird. Seit der Römerzeit ist dieses Verfahren üblich, das ebenfalls unter der Bezeichnung »Oaking« bekannt ist und sich auf die Reifeprozesse in Eichenfässern bezieht.

KASCHRUT Barrique und Kaschrut stehen übrigens nicht im Widerspruch zueinander. »Die Eiche ist für den Wein das, was Salz für Lebensmittel ist: Sie verleiht ihm Komplexität, Tiefe und Dimension. Sie findet sich in Rot- und Weißweinen sowohl aus der Neuen als auch aus der Alten Welt«, heißt es beispielsweise in dem Wein-Blog »The Kosher Cork«.

Also kann man ruhigen Gewissens zu Pessach vier Gläser eines Roten trinken, der auf diese Weise zu seiner Vanillenote kam. Und garantiert wird sich auch auf manchem Seder jemand finden, der dann ungefragt von einem Hauch von Brombeere schwadroniert oder andere Möchtegernkennerfloskeln zum Besten gibt.

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