Anne Frank

»Andere Möglichkeiten in Betracht ziehen«

Herr Broek, in Ihrer Studie zweifeln Sie die bislang bekannte Theorie an, dass die Familie von Anne Frank verraten wurde. Warum?
Ich wollte Ruhe in die Diskussion um diesen 4. August 1944 bringen. Es gibt viele Gerüchte und Spekulationen, die über die Jahre entstanden sind. Das alles wollte ich ausblenden und mich nur auf den Tag der Festnahme konzentrieren. Die meistgestellte Frage von unseren Besuchern – ob im Anne-Frank-Haus oder online – ist, was genau am Tag der Razzia geschah. Also begann ich vor zwei Jahren mit der Studie, die seit etwa sechs Monaten abgeschlossen ist.

Muss die Geschichte denn nun neu geschrieben werden?

Nun, da bin ich mir nicht so sicher. Die Theorie des Verrats wird durch meine Studie nicht widerlegt – diese Option gibt es noch –, aber ich wollte zeigen, dass wir auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen müssen.

Welche Quellen haben Sie genutzt?
Meine Primärquelle war natürlich das Tagebuch von Anne Frank. Im März 1944 schrieb sie von der Festnahme ihrer Lebensmittekarten-Versorger. Ihre Notizen zeigen ganz klar, dass sie darüber sehr besorgt war. Diese Festahmen habe ich auf zwei Städte zurückverfolgen können: nach Zwolle und Haarlem, wo Berichte der Polizei genau mit dem übereinstimmen, worüber Anne Frank in ihrem Tagebuch schreibt.

Haben Sie auf Ihre Studie Reaktionen von anderen Historikern bekommen?

Die Studie wurde von Historikerkollegen gelesen – sie können natürlich auch nicht sagen, ob das alles stimmt, aber sie belegen, dass es eine solide Untersuchung ist. Auch das »Netherlands Institute for War Documentation« hat deren Glaubhaftigkeit bestätigt.

Was werden Ihre nächsten Forschungsschritte sein?
Wir untersuchen alle Aspekte, die die Menschen in dem Haus und das Haus selbst betreffen. Aber ein nächster Schritt wird sein, die Firmen zu untersuchen, die in dem Gebäude ansässig waren – und deren wechselseitiger Einfluss. Denn für die Menschen, die sich dort versteckt hielten, war es wichtig, dass die Geschäfte auch da blieben. Wäre eine der Firmen pleitegegangen, wäre ihr Unterschlupf verloren gewesen. Wir wollen näher beleuchten, wer diese Firmen, wer ihre Kunden waren. Ich hoffe, dass das zu neuen Forschungen führen kann – und uns vielleicht mehr über die Razzia verraten wird.

Mit dem Historiker sprach Katrin Richter.

Die Studie:
www.annefrank.org/de/Neu/Neu/2016/December/Neuer-Blickwinkel-auf-Verhaftung-Anne-Frank/

Raten

Unsere Zahl der Woche: 0

Fun Facts und Wissenswertes

 23.09.2023

Glosse

Der Rest der Welt

Warum ich leichter in den Himmel als in die Synagoge komme

von Beni Frenkel  23.09.2023

Aufgegabelt

Suppe vor Jom Kippur

Rezepte und Leckeres

 23.09.2023

Jom-Kippur-Krieg

»Wir brauchen mehr Leonard Cohens«

Der Journalist Matti Friedman über den Auftritt des berühmten Kanadiers im Jom-Kippur-Krieg

von Ayala Goldmann  23.09.2023

Kinderoper

»Brundibar«: Singen im Angesicht des Todes

Vor 80 Jahren wurde Hans Krasas Kinderoper im Ghetto Theresienstadt aufgeführt

von Michael Heitmann  22.09.2023

Stuttgart

Anat Feinberg und Anton Maegerle erhalten Oppenheimer-Preis

Beide haben »unermüdlichen Einsatz für unsere Demokratie und die unantastbare Würde des Menschen« gezeigt

 22.09.2023

New York

US-Staatsanwaltschaft übergibt Nazi-Raubkunst an Erben

Es handelt sich um Gemälde des österreichischen Expressionisten Egon Schiele

 21.09.2023

Antisemitismus

Jenseits der Definitionen

Eine Zeitschrift für Psychoanalyse geht dem Problem auf den Grund

von Jakob Hayner  21.09.2023

Film

Der Superfleißige

Jerry Bruckheimer wird 80 – und dreht weiter

von Claudia Irle-Utsch  21.09.2023