Kino

Amy Winehouse und der Davidstern

Mit ihrem Album »Back to Black« gelang Amy Winehouse (1983–2011) der internationale Durchbruch. Foto: © 2024 Focus Features, LLC.

Unlängst geisterte ein Clip mit Gänsehautpotenzial durch die sozialen Medien: Amy Winehouse steht auf der Bühne, gerade hat sie noch mit ihrer Band den aus heutiger Sicht irritierend prophetischen Song »Rehab« gespielt, jetzt ist sie fassungslos. Es sind Momente zwischen Publikumsexzess und Gesichtskino, bis die Sängerin realisiert, dass Rehab zum Album des Jahres gekürt wurde und sie ihren Bandkollegen in die Arme fällt.

Fünf Grammys konnte Winehouse 2008 mit nach Hause nehmen, oder genauer: sich nach Hause schicken lassen, denn aufgrund ihrer Drogenprobleme bekam sie damals kein Visum für die USA und war aus den Riverside-Studios in London zugeschaltet.

Der Tod der Sängerin wird in einer leicht verrutschten Poetisierung angedeutet

Diese popkulturell aufgeladene Szene ist, originalgetreu eingefangen, auch gegen Ende von Sam Taylor-Johnsons Biopic Back to Black zu sehen. Das Reenactment (Nachstellung) bildet einen späteren Höhepunkt des Films, bevor der Tod der Sängerin, die im Juli 2011 mit über vier Promille Alkohol im Blut tot aufgefunden wurde, am Ende in einer leicht verrutschten Poetisierung mit flatternden weißen Gardinen angedeutet wird.

Eine kritische Auseinandersetzung hat der Film nicht im Sinn.

Back to Black gießt Winehouses alkohol- und drogeninduzierte Biografie in ein klassisch inszeniertes, von der Familie freigegebenes Biopic. Eine kritische Auseinandersetzung, wie sie Asif Kapadia in seinem Dokumentarfilm Amy betrieben hat und für den der Regisseur von Winehouses Vater angefeindet wurde, hat Taylor-Johnson nicht im Sinn.

Das Biopic nach einem Drehbuch von Matt Greenhalgh setzt bei einer Familienfeier ein, auf der sich die zu Beginn noch mädchenhaft wirkende Amy (Marisa Abela) mit der geliebten Oma Cynthia (Lesley Manville) unterhält. Schließlich gibt die Frau mit der rauchig-souligen Stimme im Duett mit Vater Mitch (Eddie Marsan) »Fly Me to the Moon« zum Besten und wird von den Familienmitgliedern gefeiert.

Das Winehouse-Denkmal in Camden Town wurde mit propalästinensischen Aufklebern verschandelt

Die jüdischen Wurzeln der Sängerin begleiten den Film durchweg, später etwa trägt sie eine Davidstern-Kette. Dass Unbekannte als Reaktion auf den Nahostkonflikt das im Londoner Stadtteil Camden Town stehende Winehouse-Denkmal mit propalästinensischen Aufklebern verschandelt haben, brachte die verstorbene Sängerin erst kürzlich wieder in die Medien.

Back to Black zeichnet nach, wie aus der jungen selbstbewussten Frau die weltberühmte Sängerin wird: ihre große Liebe für den Jazz, moderne Popmusik und den Hip-Hop von Lauryn Hill, ein mit der Gitarre auf dem Bett gespielter Song, der erste Plattendeal, dann kleinere und größere Auftritte.

Auch wenn nicht immer klar wird, wie viel Zeit vergeht, schreiben sich die Spuren der Veränderungen in Marisa Abelas Körper ein. Der Look ihrer Amy geht stärker Richtung Retro, immer mehr Tattoos schmücken ihren Körper, und bald schon türmt sich auf ihrem Kopf jene charakteristische 60er-Jahre-»Beehive«-Hochsteckfrisur.

Dass Taylor-Johnson mit der jungen Britin ein noch recht unverbrauchtes Gesicht für die Rolle des Superstars gewählt hat, ist ein gelungener Coup. Abela sieht der Sängerin zeitweise zum Verwechseln ähnlich und spielt sie in Bühnenszenen und im Privatleben mit einer punkigen Attitüde.

Letzteres, das Privatleben, ist es, worauf Back to Black fokussiert. Auch wenn die Musik eine wesentliche Rolle spielt, interessiert sich Taylor-Johnson, wie schon in ihrem Film Nowhere Boy um den jungen John Lennon oder wie zuletzt auch Bradley Cooper in seinem Leo­nard-Bernstein-Biopic Maestro, vor allem für zwischenmenschliche Beziehungen: zur Großmutter, zu ihren geschiedenen Eltern, mehr aber zu ihrem Vater, einem Taxifahrer, der sie als Künstlerin motiviert und der frühe Suchtmomente unterschätzt.

Mehr Anarchie hätte dem Film und der mit Exzessen nach Liebe suchenden Sängerin gut gestanden.

Ins Zentrum schiebt sich das Verhältnis zu ihrem späteren Ehemann Blake Fielder-Civil (Jack O›Connell), der, wie die Popgeschichte weiß, die Sängerin an härtere Drogen herangeführt hat. Das Kennenlernen der beiden in einem Pub in Camden inszeniert Taylor-Johnson als alkohol- und nikotingetränkten Liebe-auf-den-ersten-Blick-Moment. Amys gesundheitlich angeschlagene Mutter ist nicht begeistert, weil der Neue, dessen eintätowierter Name bald die rechte Brustseite der Sängerin ziert, nicht jüdisch ist.

Der Film zeigt, wie sich die große Liebe in eine toxische Beziehung verwandelt

Der Film zeigt, wie sich die große Liebe in eine toxische Beziehung verwandelt und wie Winehouse, die eigentlich nur mit ihrer aus dem eigenen Leben schöpfenden Musik gehört werden will, unter der permanenten Öffentlichkeit leidet. Die Paparazzi der britischen Yellow Press lauern ihr überall auf, sie zerlegen die später dauerbetrunkene Sängerin buchstäblich mit ihren Übergriffigkeiten und schlachten ihre Eskapaden aus.

Back to Black ist kinematografisch weichgezeichnetes, dramaturgisch konventionelles Kino. Mehr Anarchie hätte dem Film und der mit Exzessen nach Liebe suchenden Sängerin gut gestanden.

Und dennoch ist Gänsehaut angesagt, weil Amy Winehouse mit nur zwei Alben einen so gewaltigen musikalischen Fußabdruck hinterlassen hat und man dank des Films noch einmal in ihren großartigen Songs schwelgen kann. Nicht auszudenken, was Winehouse der Welt hätte schenken können, wäre sie nicht dem tragisch-berühmten Klub 27 beigetreten.

Der Film läuft ab dem 11. April im Kino.

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