Yoram Kaniuk

Alter Kämpfer

Yoram Kaniuk verkörpert 80 Jahre zionistische und israelische Geschichte. Foto: Rick Friedman

Yoram Kaniuk

Alter Kämpfer

Der große Außenseiter der israelischen Literatur wird 80

von Christian Buckard  27.04.2010 11:42 Uhr

Wer in diesen Tagen Gelegenheit hat, den israelischen Kabelsender HOT zu empfangen, kann dort die wohl ungewöhnlichste Fernsehserie sehen, die bislang über die Mattscheiben des Landes flimmerte: Nevelot, zu Deutsch »Kadaver«. Yossi Polak und Filmlegende Yehoram Gaon spielen zwei alte Palmachniks, Angehörige der sozialistischen Eliteeinheit aus der Zeit vor der Staatsgründung. Sie haben Israel in den Jahren der illegalen Einwanderung und des Unabhängigkeitskrieges unter Einsatz ihrer damals jungen Leben mit aufgebaut. Jetzt sind die zwei alten Haudegen wütend über das, was aus dem Land geworden ist. Vor allem ärgern sie sich über die postzionistische Jugend, die ohne Respekt für die Ideale und Leistungen ihrer Großeltern vergnügungssüchtig vor sich hin lebt. Als die beiden Veteranen wieder einmal von jungen Leuten gedisst werden, reicht es ihnen. Sie tun das, was sie im Krieg gelernt haben: Sie bringen die Jugendlichen um. Zu ihrer Verblüffung fühlen die beiden sich danach wieder jung und stark. Also morden die alten Männer weiter. In blinder Wut und mit steigendem Vergnügen.

tollkühn Vorlage für die Serie ist eine Novelle von Yoram Kaniuk. Aber auch, wenn Kaniuk eine gewisse Ähnlichkeit mit Yossi Polak hat und selbst Palmach-Veteran ist, kann Entwarnung gegeben werden: Weder Roman noch Film sind autobiografisch. Kaniuk hat nichts gegen junge Leute, im Gegenteil. Er unterhält sich gern mit ihnen in Tel Aviver Cafés. Für die Enkelgeneration ist der legendäre Außenseiter der israelischen Literatur inzwischen ein Kultautor.

Kaniuk, 1930 in Tel Aviv geboren, verkörpert zionistische und israelische Geschichte. Sein Vater, der erste Direktor des Tel Aviver Museums, war aus Galizien eingewandert. Die Mutter, eine Lehrerin, stammte aus Russland. Sohn Yoram brach mit 17 das Gymnasium ab und meldete sich zum Palmach. Im Unabhängigkeitskrieg 1948 kämpfte er mit der Har-El-Brigade in den Bergen um Jerusalem. Der alte Mann lächelt verlegen, wenn er an den jungen Palmachnik denkt, der immer wieder unnötig sein Leben riskierte. »Ich weiß gar nicht mehr, ob ich das tat, weil ich Angst hatte oder weil ich keine Angst hatte, aber die ganze Zeit versuchte ich, ein Held zu sein.« Eines Tages tauchte der Kommandeur auf – er hieß Yitzhak Rabin – und rief: »Wer von euch ist Yoram Kaniuk?« Dann fragte er den 18-Jährigen: »Sag mal, willst du als Sieb enden?« Fast wäre das geschehen. In Jerusalem wurde Kaniuk bei Kämpfen schwer verwundet. »Als ich zurückkehrte«, schreibt er in seinen Erinnerungen I did it my way, »war ich wie abgeschnitten von allem, sprach tagelang nicht und kritzelte auf Wände, denn ich hatte getötet, bevor ich ein Mädchen geküsst hatte«.

Nach dem Krieg ging Kaniuk nach Europa, um Schoa-Überlebende per Schiff nach Hause zu bringen. Im Gegensatz zu so vielen anderen jungen Israelis dieser Jahre empfand er keine Verachtung für die Überlebenden. »Für mich waren ›Juden‹ zuvor immer etwas Abstraktes gewesen. Aber als mir die Leute auf dem Schiff ihre Geschichten erzählten, verliebte ich mich in sie«, erinnert er sich. »Für mich sind sie die größten Helden!« Was die Überlebenden ihm berichteten, verarbeitete Kaniuk später in dem Roman Adam Hundesohn, der 2008 von Paul Schrader mit Jeff Goldblum in der Hauptrolle verfilmt wurde.

New York In den 50er-Jahren verließ Kaniuk Israel und wurde Maler, zuerst in Paris, dann in New York. Mit der Jazzlegende Charlie »Bird« Parker und mit Robert de Niro sen. zog er durch die Bars, er verkaufte Falafel und bezahlte an jüdische Mafiosi Schutzgeld. In New York erschien 1960 sein erster Roman The Acrophile, dort lernte er seine Frau Miranda kennen, dort wurde seine erste Tochter geboren. Als er kurze Zeit später wieder nach Tel Aviv zurückkehrte, traf Kaniuk im legendären Café California den Maler Jossel Bergner. »Er sagte: ›Ich habe Ihr Buch gelesen. Auf Englisch. Ein sehr schlechtes Buch.‹ Ich sah ihn lange an, und da wusste ich, dass ich nach Hause gekommen war.« Seit damals lebt Kaniuk als Schriftsteller. Seine Romane und Geschichten, teilweise verfilmt, wurden in Dutzende Sprachen übersetzt. Auch literarische Ehrungen blieben nicht aus. Aber da Kaniuk in keine Genreschublade einzuordnen ist, seine Bücher sich nur als »Kaniuk« und nichts sonst klassifizieren lassen, wurden seine Werke nie Teil des literarischen Kanons seiner Heimat. Den Israel-Preis hat er auch nie erhalten.

Späte Erfolge Seit er nicht mehr in der Friedensbewegung aktiv ist, hat Yoram Kaniuk es sich auch mit den meisten deutschen Kritikern verscherzt. Dabei hat er sich wie kein zweiter israelischer Schriftsteller mit Deutschland abgekämpft, dem Land, das sein Vater Moshe so tief und illusionslos geliebt hatte. Der Heinrich-Heine-Preis ging trotzdem an Amos Oz. Auch Kaniuks im vergangenen Jahr erschienener »Reisebericht« Zwischen Leben und Tod über das monatelange Koma, in dem er mit 74 Jahren gelegen hatte, wurde hierzulande beinahe völlig ignoriert. Jetzt gibt Kaniuk auf. Sein nächstes Buch, Erinnerungen aus dem 48er Krieg, wird nicht in deutscher Sprache erscheinen. Stattdessen kann Kaniuk sich darüber freuen, dass sein 1982 erstmals erschienener Roman Der letzte Jude in Israel wiederaufgelegt und von den jungen Kritikern stürmisch gefeiert wurde. In Frankreich erschien das Buch jetzt zum ersten Mal und erhielt sofort eine Auszeichnung.
Am 2. Mai wird Yoram Kaniuk 80 Jahre alt. Die Feier wurde ihm von seinen Freunden bereits im September vorigen Jahres ausgerichtet. »Die dachten wohl, ich schaffe es nicht mehr bis zu meinem Geburtstag«, sagt er und grinst.

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025