Musik

»Alle meine Männer waren jüdisch«

»An Chanukka zünden wir Kerzen, an Weihnachten gibt es einen Baum«: Ute Lemper Foto: Stephan Pramme

Frau Lemper, kommende Woche kommt Ihre neue CD mit Liebesgedichten von Pablo Neruda heraus. Warum Neruda?
Nach meinem Piazzolla-Projekt hatte sich meine Seele weit geöffnet für südamerikanische Musik. Also habe ich mir einen Berg mit Büchern lateinamerikanischer Autoren gekauft. Dabei ist mir dieses kleine Büchlein mit Liebesgedichten in die Hände gefallen, und es war sofort klar: Das will ich machen.

Wie haben Sie Nerudas Texte vertont?
Ich habe mich beim Komponieren vom Rhythmus der Verse und der Stimmung inspirieren lassen. Die Musik ist in Zusammenarbeit mit dem argentinisch-jüdischen Bandoneon-Spieler Marcelo Nisinman entstanden, mit dem ich schon das Piazzolla-Projekt gemacht hatte. Marcelo hat den ersten Schub mit mir geschrieben, und den Rest habe ich dann alleine am Klavier komponiert. Das Neruda-Projekt sollte mehr in Richtung Chanson gehen, eines Chansons, wie es ihn heutzutage nicht mehr gibt und wie ich ihn am liebsten mag – wie »Ne me quitte pas« von Jacques Brel oder »Padam Padam« von Edith Piaf.

Mit der Veröffentlichung der CD steht auch wieder eine Mammuttournee an, mit Auftritten in Deutschland und Frankreich. Wie bekommen Sie das mit Ihrem Familienleben in Einklang?
Mein ältester Sohn Max ist schon 19 und geht an die Uni. Meine Tochter ist 17 und ist eigentlich auch schon erwachsen. Und dann gibt es eben noch die beiden Kleinen, sieben und zwei Jahre alt. Diesmal tat es mir sehr weh, in den Flieger zu steigen, weil ich zuvor schon zwei Wochen in Australien getourt war und dann nur vier Tage zu Hause bleiben konnte, um anschließend wieder für zehn Tage meinen Wohnort New York zu verlassen. Das ist echt beschissen. Auf der anderen Seite habe ich mit dem vierten Kind das erste Mal mein Leben richtig gut organisiert. Wir haben ein Au-Pair und eine Nanny. Und mein Mann Todd Turkisher bleibt zu Hause.

Ihr Mann ist Schlagzeuger und hat Sie früher bei Auftritten begleitet. Wieso gehen Sie beide nicht mehr zusammen auf Tour?
Die gemeinsamen Momente auf der Bühne sind zwar super, aber alles andere ist einfach zu viel Stress. Auf Tour brauche ich meine Friedensmomente, da will ich einfach mal nur ein Buch lesen, Dinge, zu denen ich zu Hause bei dem vielen Trubel einfach nicht komme. Mein Mann ist auf Tour immer schlecht gelaunt, weil er nicht gut mit Jetlag umgehen kann. Ich kriege es mit meinem deutschen Holzkopf noch ganz gut hin, dass ich mich diszipliniere, aber für ihn ist das immer eine Katastrophe.

Klingt nach einem typischen New Yorker?
Todd ist total neurotisch, paranoid. Auch Marcelo Nisinman ist so. Typisch jüdisch. Wobei ich das mit aller Liebe sage. Hinzu kommt auch noch sein Verfolgungswahn. Marcelo tut so, als sei die Schoa seine eigene Geschichte, obwohl er Third Generation ist. Ich sage ihm immer: Relax doch mal ein bisschen. Aber das kann er nicht.

Können Sie das nachvollziehen?
Ich kenne mich mit dieser Befindlichkeit inzwischen gut aus. Todd ist jüdisch, und auch mein erster Mann, David Tabatsky, war jüdisch. Sein Vater war Kantor, doch David hatte sich von seiner jüdischen Herkunft losgesagt. Das war schon ein dickes Ding, als David mich seiner Mutter vorstellte. Später hat sie mich zwar akzeptiert, doch sie hat durchgesetzt, dass unser Sohn Max Barmizwa macht. Auch meine Ex-Boyfriends waren alle jüdisch. Ich habe mir das zwar nicht so ausgesucht, aber vielleicht ist das ja mein Schicksal, jüdische Männer glücklich zu machen. Und sie von ihren Neurosen zu heilen.

Hat Ihr Hang zu jüdischen Männern einen besonderen Grund?
Meine Männer waren beziehungsweise sind keine praktizierenden Juden. Intellektuell haben sie sich gegen ihr Judentum aufgelehnt. Vor allem Todd. Das liebe ich ja auch an ihm und seiner Familie. Dass sie bereit sind, immer alles infrage zu stellen. Obwohl sie an ihrer Kultur hängen, wird sie gleichzeitig mit Humor, Süffisanz und Ironie in Frage gestellt. Was die Christen ja nicht können.

Und Sie selbst?
Witze über Deutsche kann ich mir erlauben, aber Witze über Juden würde ich nicht machen. Höchstens unter meinen besten Freunden. Dabei liebe ich es durchaus, jüdische Neurotiker auf die Schippe zu nehmen. Und davon gibt es eine Menge in New York. Vor ein paar Tagen erst habe ich Woody Allen getroffen und in seinem neuen Film einen kleinen Auftritt gehabt. Allen ist sozial total inkompetent. Völlig verdreht, kann keine normale Diskussion führen, macht alle Schauspieler verrückt. Genauso wie in seinen Filmen.

Führen Sie zu Hause ein jüdisches Leben?
Schon meinem ersten jüdischen Mann habe ich gesagt: Das lebe ich mit dir. Ich bin zwar nicht wegen ihm konvertiert, aber ich würde sagen, dass ich die jüdische Kultur gutheiße. Praktisch bedeutet das Jüdischsein bei uns zu Hause nicht viel, außer dass wir beispielsweise an Chanukka die Kerzen anzünden und ein kleines Liedchen singen. An das kann sich Todd gerade noch erinnern. Natürlich haben wir auch einen Weihnachtsbaum, der schon ein wenig prächtiger ist als so eine kleine Chanukkia. Bei uns wird beides gefeiert, aber eher aus Gründen der Familie und des gemeinsamen Essens.

Sie singen auch auf Jiddisch.
Das mache ich seit 2003, seit dem Projekt »Nomade« im Théâtre du Châtelet in Paris. Da ging es um Exil- und russische Lieder, aber auch Stücke von Hanns Eisler, Chava Alberstein oder Kurt Weill.

Wie haben Sie die Sprache gelernt?
Man kann diese jiddischen Songs auf YouTube finden, was einen Rabbi aus Chicago dazu animierte, meine Aussprache zu kritisieren. Das mündete in einer Telefonkonferenz, bei der mir der Rabbi eine Stunde lang Jiddischunterricht gab. Später habe ich ihm dann die fertige Aufnahme meiner Songs geschickt, und er hat mir seinen Segen gegeben.

Auch auf Hebräisch interpretieren Sie Lieder. Wie kommt das in Israel an?
In Israel trete ich schon seit den 80er-Jahren auf. Yad Vashem hat mir zu Ehren sogar eine Zeremonie veranstaltet: Mir, als Nachkriegsdeutsche, die die jüdische Kultur wiederbelebt! Weil ich seit 1987 jüdische Komponisten wie Kurt Weill singe. Dieser Aufnahme folgten später weitere mit Kabarett-Songs jüdischer Komponisten wie Franz Waxman, Marcellus Schiffer, Mischa Spoliansky oder Friedrich Hollaender.

Wie war das für Sie, in Yad Vashem geehrt zu werden?
Am Abend danach stand ich auf der Bühne des Mann-Auditoriums in Tel Aviv und wollte mein Konzert beginnen. Aber ich konnte nicht singen. Ich hatte einen Kloß im Hals, weil ich so überwältigt war. Das alles hatte etwas Spirituelles für mich, als habe sich ein Kreis geschlossen.

Was meinen Sie damit?
Als ich Anfang 20 war, habe ich sehr darunter gelitten, Deutsche zu sein. Das waren die ersten Jahre, die ich im Ausland gelebt habe. Ich musste mich damals mit der deutschen Geschichte identifizieren, mit den Verbrechen dieses Landes, in dem ich aufgewachsen bin. Mir hat das so wehgetan! Ich habe dagesessen und habe geweint und geweint wegen dieses Ungetüms aus Scham und Verzweiflung.

Das passt zu Ihrem Image der »guten Deutschen« ...
Die Leute und das Marketing lieben es, mich in diese Schublade zu stecken: groß, blond, Marlene-Dietrich-Look.

Marlene Dietrich wurde von ihren deutschen Landsleuten lange geschmäht ...
Hierzulande wurde ich lange Zeit vor allem als Musical-Star wahrgenommen – und verrissen. In den USA dagegen bin ich als Chanson-Sängerin berühmt geworden. Das hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise geändert. Selbst in Deutschland kennt man inzwischen meinen eigentlichen Beruf: Sängerin!

Ute Lemper wurde 1963 in Münster geboren. Sie studierte Tanz am Institut für Bühnentanz in Köln und Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. In den 90er-Jahren profilierte sie sich als Musicalstar, unter anderem in »Cats«, »Cabaret« und »Starlight Express«, bevor sie sich dem Chanson zuwandte. Daneben spielte Ute Lemper verschiedene Film- und Fernsehrollen, so auch in Ilona Zioks international preisgekröntem Film »Kurt Gerrons Karussell«. Heute tritt Lemper, die an der New Yorker Upper West Side mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt, weltweit erfolgreich mit Soloprogrammen als Sängerin auf.

Ute Lemper: »Forever – The Love Poems of Pablo Neruda«. Chamaleon Productions/Edel Germany 2013

Tourdaten auf www.utelemper.com

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