Glosse

Alices Feindesland

Hebräisch-Boykotteurin: Alice Walker Foto: ddp

Die US-Schriftstellerin Alice Walker wäre wahrscheinlich nur literarisch Eingeweihten ein Begriff, hätte nicht Steven Spielberg 1985 ihren Roman Die Farbe Lila verfilmt. Die für elf Oscars nominierte Produktion über Rassismus und Sexismus in den amerikanischen Südstaaten wurde ein Kassenschlager. Auch das Buch verkaufte sich weltweit millionenfach und bescherte der Verfasserin Wohlstand und Prominenz.

gaza-flottille Ihren literarischen Ruhm nutzt die afroamerikanische Autorin seither, um ihre politische Agenda voranzutreiben. Sie setzt sich ein gegen Krieg, Klimawandel und Genitalverstümmelung. Vor allem aber kämpft sie gegen den »Terrorstaat Israel«. Weil der Umgang des jüdischen Staats mit den Palästinensern, so Alice Walker, schlimmer sei als alles, was sie im Amerika der Rassentrennung erlebt habe, hat die 68-Jährige, die 2011 auch bei der »Gaza-Flottille« mitmachte, jetzt ihren ganz persönlichen Israel-Boykott verhängt und eine geplante Neuübersetzung von Die Farbe Lila ins Hebräische untersagt. So lange »Israel das palästinensische Volk verfolgt«, dürfe das Buch nicht auf Iwrit erscheinen.

Die antizionistische Szene ist natürlich entzückt. Dort hofft man, dass Walkers Beispiel Schule machen wird und andere Autoren ihr folgen, um Israel, wenn schon nicht von der Welt, so doch wenigstens von der Weltliteratur abzuschneiden.

tantiemen Zumal ein solcher Boykott recht preiswert käme. Alice Walkers heldenhafte Geste kostet sie jedenfalls kaum etwas. Die Tantiemen, die ihr aus der geplatzten hebräischen Übersetzung zugeflossen wären, hätten bestenfalls im niedrigen vierstelligen Bereich gelegen, um die 3.000 Dollar maximal. Zwar sind Juden bekanntermaßen lesefreudig. Doch Israel hat nur 7,6 Millionen Einwohner. 10.000 verkaufte Exemplare sind dort schon ein Riesenerfolg für ein Buch. Zudem beherrschen die meisten Israelis – die literarisch Gebildeten unter ihnen sowieso – Englisch gut genug, um amerikanische Literatur im Original zu lesen. Wahrscheinlich hat Alice Walker ihrem israelischen Verlag Verluste erspart. Man sollte ihr dort dankbar sein.

Nebenbei beantwortet diese Geschichte vielleicht auch die gern gestellte rhetorische Frage, warum das progressive Weltgewissen immer nur Israel ins Visier nimmt und nicht, sagen wir mal, China. Dort soll es, wie man hört, mit den Menschen- und Minderheitenrechten zwar nicht zum Besten stehen. Aber: Die Volksrepublik hat 1,3 Milliarden Einwohner, von denen immer mehr in die konsumfreudige und gebildete Mittelschicht aufsteigen. Das ist ein Buchmarkt von gewaltigen Dimensionen und entsprechenden Autorenhonoraren – auch für die fünf chinesischen Versionen von Die Farbe Lila. Jedenfalls hat man von einem Veto Alice Walkers gegen eine Übersetzung ihrer Bücher in Mandarin noch nichts gehört.

Zahl der Woche

3.123.000 Menschen

Fun Facts und Wissenswertes

 28.10.2025

Imanuels Interpreten (14)

Neil Diamond: Der Romantiker

Das mit einer ansprechenden Stimme ausgestattete jüdische Talent wurde zum Publikumsliebling – genau wie seine ebenso prominente Klassenkameradin

von Imanuel Marcus  28.10.2025

Premiere

»Übergriffe gegen uns sind mittlerweile Alltag«

Anfeindungen, Behinderungen, Drohungen und Übergriffe: Ein neuer Film dokumentiert die Pressefeindlichkeit bei vielen Pro-Palästina-Demonstrationen in Berlin. Die Journalisten-Union warnt vor den Folgen für die Pressefreiheit hierzulande

von Markus Geiler  28.10.2025

Rotterdam

Unbehagen im Love Lab

Die jüdische Soziologin Eva Illouz ist an der Rotterdamer Erasmus-Universität nicht willkommen. Sie spricht von einer »antisemitischen Entscheidung«, die immerhin demokratisch zustande gekommen sei

von Michael Thaidigsmann  28.10.2025

Berlin

Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens: »Wenn ich eine Wolke wäre«

Elf Jahre nach Kriegsende entdeckte Deutschland seine verlorene Dichterin wieder. Volker Weidermann gelingt ein berührendes Porträt der Lyrikerin

von Sibylle Peine  28.10.2025

Kommentar

Politisches Versagen: Der Israelhasser Benjamin Idriz soll den Thomas-Dehler-Preis erhalten

Wer wie der Imam den 7. Oktober für seine Diffamierung des jüdischen Staates und der jüdischen Gemeinschaft instrumentalisiert, ist eines Preises unwürdig

von Saba Farzan  28.10.2025

Fernsehen

Selbstermächtigung oder Männerfantasie?  

Eine neue Arte-Doku stellt den Skandalroman »Belle de jour« des jüdischen Schriftstellers Joseph Kessel auf den Prüfstand  

von Manfred Riepe  27.10.2025

Stuttgart

»Mitten dabei!«: Jüdische Kulturwochen beginnen

Konzerte, Diskussionen, Lesungen und Begegnungen stehen auf dem vielfältigen Programm

 27.10.2025

Biografie

Vom Suchen und Ankommen

Die Journalistin hat ein Buch über Traumata, Resilienz und jüdische Identität geschrieben. Ein Auszug aus ihrer ungewöhnlichen Entdeckungsreise

von Sarah Cohen-Fantl  26.10.2025