Autobiografie

Aktivisten gegen das Vergessen

Nazijäger Beate und Serge Klarsfeld Foto: dpa

Von Beruf und aus Berufung Nazi-Jäger, so sind Serge und Beate Klarsfeld in die Geschichte eingegangen. Jetzt hat das Paar, das seit den 60er-Jahren zur Verurteilung vieler NS-Verbrecher und ihrer Helfer beigetragen hat, seine Erinnerungen vorgelegt. Das Buch ist ein faszinierendes Panorama deutscher und französischer Geschichte: deutsche Besatzung in Frankreich, Schoa, 68er-Bewegung, Mitterrand und Le Pen.

Der rote Faden ist die unermüdliche Arbeit des Juristen Serge Klarsfeld und der Verwaltungsangestellten Beate, die in der ganzen Welt bergeweise Akten gewälzt, Dossiers zusammengestellt und Experten getroffen haben.

Motivation Nichts prädestinierte die beiden anfangs, das Au-pair-Mädchen und den Politikstudenten, die sich in den 60er-Jahren an einer Pariser Metrostation trafen, für diese Aufgabe als Geschichtsforscher und Aktivisten gegen das Vergessen. Vor allem hatte keiner von ihnen eine besondere Bindung zum Judentum, wie das Buch verrät.

Serge Klarsfeld ist zwar Kind rumänischer Juden, doch seine Motivation speist sich vor allem aus dem traumatischen Erlebnis der Verschleppung seines Vaters. Dieser versteckte seine Familie in einem Schrank und lieferte sich den Deutschen bei einer Razzia aus, um seine Angehörigen zu retten. Am 28. Oktober 1942 starb er bei einem Transport aus dem französischen Drancy nach Auschwitz.

»Meine jüdische Identität ist die Schoa und eine unerschütterliche Verbundenheit mit dem jüdischen Staat, dem Staat Israel«, bekennt Serge. Für Beate gab Sophie Scholl den Ausschlag: »Was im Kampf gegen den Nationalsozialismus zählt, ist nicht, sich seines Erfolgs von vornherein sicher zu sein. Man muss es vor allem mutig versuchen, auf sein Gewissen hören, die Augen aufmachen und handeln«, schreibt sie.

Ohrfeige Wie kommt es nun dazu, dass ein junges Paar sich dem Kampf gegen Altnazis verschreibt und tollkühn genug ist, um an den Erfolg seiner Mission zu glauben? Wie das Buch zeigt, sind sie zwar die treibende Kraft, doch sie verstehen es geschickt, um Unterstützung zu werben. Sei es die Studentenbewegung 1968 oder andere Vereinigungen, zum Beispiel linke Politiker in Paraguay in den 70er-Jahren.

Nicht immer ist ihr Kampf allerdings so spektakulär, wie die öffentliche Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger im November 1968 oder im Fall des Gestapo-Chefs Klaus Barbie. Jahrzehntelang bestand der Alltag des Ehepaares vor allem darin, Akten zu sichten, Beweise zu sammeln, die als Basis für eine Anklage dienen können, und Staatschefs zu schreiben, um sie für ihre Sache zu gewinnen.

Das 624 Seiten starke Buch führt das Lebenswerk der Klarsfelds in eindrucksvoller Weise vor Augen. Dabei wird kein historisches Detail ausgelassen, was manchmal zu Längen führt. Es eignet sich vor allem für jene Leser, die sich für Geschichte begeistern können.

Aber eigentlich sollte es zur Pflichtlektüre für jeden werden, der mehr über die Schoa wissen will. Viele Passagen sind auch und insbesondere für Lehrer interessant. Niemals aufzugeben, immer rastlos zu forschen, stets nach Gerechtigkeit zu verlangen – das ist das Verdienst des Ehepaares Klarsfeld.

Beate und Serge Klarsfeld: »Erinnerungen«. Piper, München 2015, 624 S., 28 €

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  07.11.2025

Filmkritik

»Nobody Wants This« – die Zweite

Die Fortsetzung der Netflix-Hit-Serie »Nobody Wants This« ist angelaufen. Allerdings sorgen diesmal vor allem die Nebenrollen für randvolle Herzen. Vorsicht Spoiler

von Sophie Albers Ben Chamo  06.11.2025

Kunst

Maler und Mentor

Eine Ausstellung in Baden-Baden zeigt Max Liebermann auch als Förderer impressionistischer Kollegen

von Eugen El  06.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 06.11.2025

Film

»Vielleicht eines der letzten Zeitdokumente dieser Art«

Die beiden Regisseure von »Das Ungesagte« über ihre Doku mit NS-Opfern und ehemaligen Mitläufern, Kino als Gesprächsraum und die Medienkompetenz von Jugendlichen

von Katrin Richter  06.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Yitzhak Rabin

Erinnerung an einen Mord

Wie ich am 4. November 1995 im Café Moment in der Jerusalemer Azza Street vom tödlichen Anschlag auf Israels Ministerpräsident in Tel Aviv erfuhr

von Ayala Goldmann  04.11.2025