Italien

Zoff um Catania

Benito Triolo, der Vorsitzende der selbst ernannten Gemeinde (v.), vor dem ehemaligen Schloss Leucatia, das seit einem Jahr als Synagoge dient Foto: Baruch Triolo

Bei Italiens jüdischer Dachorganisation Unione delle Comunità Ebraiche Italiane (UCEI) sorgt ein Konflikt um die Jüdischkeit einer neu gegründeten Gemeinde in Sizilien für Aufsehen und Unruhe. Die letzten Juden waren 1493 von der Insel vertrieben worden. Einige der ursprünglich 30.000 Juden, die sogenannten Bnei Anusim, tauchten damals allerdings ab, verbargen ihre jüdische Herkunft.

Jetzt beansprucht eine kleine Gruppe in Catania, deren rechtmäßige Erben zu sein. Gemäß der Halacha reicht ein solcher Anspruch allerdings allein nicht aus – die etwa 40 Mitglieder machen daher orthodoxe Konversionen geltend, durchgeführt von Rabbinern in den USA und in Israel.

giudecche Rechtsanwalt Benito Triolo, Vorsitzender der Gruppe, gibt an, in Miami konvertiert zu sein, und nennt sich seitdem Baruch. In Sizilien, erklärt er, habe es einst 54 Giudecche gegeben – Stadtteile, in denen die Juden bis zu ihrer Vertreibung wohnten. Seine Gruppe würde die offizielle Wiederkehr des Judentums auf die Insel nach etwa 530 Jahren verkörpern.

Die rund 40 Mitglieder sind in Israel und den USA konvertiert.

Vor einem Jahr überließ die Stadtverwaltung der Gemeinde ein Stockwerk des Schlosses Leucatia zur Nutzung als Synagoge. Ein jüdischer Kaufmann ließ es 1911 für die Hochzeit seiner Tochter bauen, im Zweiten Weltkrieg diente es als Luftabwehrbasis der Nazis.

Die Gemeinde hat eine Tora bekommen, als Geschenk von der Synagoge Ohev Sholom in Washington. Darüber hinaus konnte man den brasilianischen Rabbiner Gilberto Ventura als Mitarbeiter gewinnen. Was ihnen jedoch fehlt, ist die Anerkennung der jüdischen Dachorganisation UCEI, die allerdings über die Gruppe verärgert ist.

widerspruch Benito Triolo hatte im Juni 2017 mit neun – mehrheitlich nicht in Sizilien lebenden – Personen bei einem Notar den Verband »Comunità Ebraica di Catania« gegründet. Die Dachorganisation der 21 italienischen jüdischen Gemeinden, UCEI, missbilligte dies, wie ihre Präsidentin Noemi Di Segni auch dem damaligen Bürgermeister von Catania erklärte, wegen des offenen Widerspruchs zur Intesa, dem Vertrag, den der italienische Staat 1987 mit den jüdischen Gemeinden des Landes geschlossen hat.

Nach der Synagogeneinweihung bat die UCEI, explizit auf die Bezeichnung als »Jüdische Gemeinde« zu verzichten. Präsidentin Di Segni schrieb dem Sonderkommissar, der inzwischen aufgrund des Bankrotts von Catania die Stadt administrativ leitete, dem Präfekten sowie dem Ministerpräsidenten: »Die UCEI ist das einzige Gremium, das die Gründung und die Präsenz einer jüdischen Gemeinde in unserem Land legitimieren kann. Da kein Antrag auf Gründung einer ›Jüdischen Gemeinde von Catania‹ bei der UCEI oder der jüdischen Gemeinde Neapel, in deren Gerichtsbarkeit Sizilien fällt, gestellt wurde, kann die UCEI keinesfalls erlauben, dass jemand die Bezeichnung ›Jüdische Gemeinde‹ nutzt oder eine zuvor nicht­existente Gemeinde gründet.« Denn dies stehe im Widerspruch zur Satzung der UCEI.

Da eine jüdische Gemeinde unter anderem steuerliche Zuwendungen bekommen darf, hat die UCEI Catanias Stadtverwaltung gebeten, der Gruppe diese nicht zu gewähren. Ohne eine offizielle Anerkennung solle die Stadtverwaltung die Erlaubnis zur Nutzung des Leucatia-Schlosses als Gemeindesitz und Synagoge einkassieren.

touristen Rechtsanwalt Triolo lässt durchblicken, dass seine Gemeinde auch als Angebot für Juden und Touristen aus den USA und Israel verstanden werden könne. Dabei bezieht er sich offenbar auch darauf, dass wöchentliche Charterflüge die Stadt am Vulkan Ätna in nur zweieinhalb Stunden mit Israel verbinden. Angesprochen auf die Kennzeichnung ihrer Facebook-Seite mit »Ethisch einwandfreie Qualitätslebensmittel und Weinprodukte aus Sizilien«, erklärt der Chef der »Carta delle Judeche«, wie sich die neue Gemeinde nennt: »Wir bereiten uns Schritt für Schritt vor, koschere Produkte anzubieten.«

Die italienisch-jüdische Dachorganisation UCEI missbilligt die Gründung.

Rechtsanwalt Triolo betont, dass seine Gemeinde orthodox sei und mittels Beit Din all denen offenstehe, die ihre jüdischen Wurzeln suchen. Er bedauert die Haltung der UCEI: »Wir sind eine autonome Gemeinde, ohne uns jemandem anschließen zu wollen«, mit Sitz, Rabbiner und Mikwe. »Juden in Sizilien gab es, bevor die UCEI existierte«, diese sei »eine sehr schöne Organisation«, aber für Initiativen brauche es individuelles Engagement.

Religionsfreiheit Laut der italienischen Verfassung bestehe Religionsfreiheit, daher habe die UCEI keinen Anspruch auf ein Religionsmonopol, sie sei nur eine Privatorganisation, von deren Gemeinden »die Hälfte geschlossen sei oder keinen Minjan habe«. Auf das Argument, dass die Organisation von öffentlichem Interesse ist und einen Staatsvertrag geschlossen hat, entgegnet er, dass der Staat ja mit weiteren Gemeinden einen Vertrag schließen könne. Wie auch die Existenz von Chabad und den Liberalen beweisen, dürfe die UCEI kein Alleinvertretungsrecht haben.

Eine neue Gemeinde zu etablieren, erklärt Rechtsanwalt Giulio Disegni, UCEI-Vizepräsident und seit 2017 Verantwortlicher des sogenannten Süd-Projekts, setze einiges voraus: einen Antrag an die UCEI, die Anerkennung der Mitglieder als ansässige Juden sowie die Zustimmung des Staatspräsidenten per Beschluss. Zudem fällt ganz Süditalien in die Gerichtsbarkeit der Gemeinde Neapel. Die italienische Rabbinerkonferenz (ARI) könne die außerhalb ihrer Kompetenzen durchgeführten Konversionen nicht überprüfen, sagt ARI-Vizepräsident Rav Giuseppe Momigliano.

Sollte der Streit trotz Annäherungsversuchen weiter eskalieren, wäre seitens der UCEI ein Unterlassungsverfahren denkbar oder eine neue Sektion der Gemeinde Neapel in Catania. Nach der Intesa mit dem Staat und Artikel 4 der UCEI-Satzung kann jede jüdische Gemeinde Sektionen in anderen Orten innerhalb ihrer Gerichtsbarkeit bilden, »wenn dies durch die Anzahl ihrer Mitglieder, die in den genannten Gemeinden ansässig sind, gerechtfertigt ist und die Eignung der neuen Gemeinschaft zur Erfüllung ihrer institutionellen Zwecke festgestellt wurde«.

In Palermo, der größten Stadt Siziliens, entstand auf diese Art eine rechtmäßige Sektion der Gemeinde Neapel. Laut Rechtsanwalt Triolo ist seine Gruppe jedoch die einzige in Sizilien. Nach einem Ende des Konflikts klingt dies nicht.

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