#Grexit

»Wir würden es noch schwerer haben«

Anfang der Woche ist das Pokerspiel zwischen Griechenland und der EU in eine entscheidende Runde getreten. Seit Monaten wird spekuliert, diskutiert, gekämpft. Was heute gilt, wird morgen dementiert. Ganz Europa ist in dieses nervenaufreibende Spiel involviert.

Und immer wieder werden wichtige Fragen aufgeworfen: Wird sich Griechenland an die vereinbarten Abmachungen halten, oder steht ihm eine Zukunft außerhalb des Euros bevor, weil keine Einigung erreicht werden kann? Würde dieser Schritt einen Dominoeffekt in ganz Europa auslösen oder, wie manche Fachleute in Deutschland behaupten, keine große Gefahr für die Eurozone darstellen?

In diesem Wirrspiel der Emotionen bewegt sich auch Griechenlands jüdische Gemeinde. »Wir haben dieselben Ansichten und Sorgen wie alle anderen im Land«, erklärt Moses Constantinis, Präsident des Zentralrats der Juden in Griechenland, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. »Wir möchten auf keinen Fall die Europäische Union verlassen.«

Demokratie Wie Constantinis denken momentan knapp 40 Prozent der griechischen Wähler. Sie sind überzeugt davon, dass etwas anderes für Athens Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras sowieso nie zur Debatte gestanden habe. Griechenland solle als freie Demokratie innerhalb Europas weiter existieren, erklärt Constantinis weiter und spricht aus, was viele in der jüdischen Gemeinde denken: Mitglied in der EU zu sein, bedeutet, die Demokratie als das Ideal anzusehen, und es heißt auch, sich für die Rechte der eigenen Gemeinschaft einzusetzen.

Es gehe nicht allein darum, zu akzeptieren, was andere für gut und richtig halten, sagt Constantinis. Ein Grexit würde die hart erzielten Reformen zerstören und Griechenland destabilisieren. Allerdings gebe es im Land selbst etliche Finanzexperten, die glaubten, dass ein Austritt Griechenlands auf lange Sicht wohl gar keine so schlechte Idee wäre.

Befragt man in Athen oder Thessaloniki Mitglieder der jüdischen Gemeinden zum Grexit, erhält man gegensätzliche Antworten. Die Mehrheit jedoch sieht es nicht gern, wenn der Schwarze Peter allein den Griechen zugeschoben wird. Reformen ja, heißt es, aber nicht um jeden Preis. So sehen es nicht nur viele Juden im Land, sondern auch die meisten Nichtjuden.

Auswandern »Inzwischen denken viele junge Leute darüber nach auszuwandern«, erzählt Andrea Gilbert. Sie kam vor vielen Jahren aus Amerika nach Griechenland und ließ sich in Athen nieder. »Die meisten wollen das Land aber nicht aus Angst vor einem eventuellen Grexit verlassen, sondern sie sind einfach frustriert über die miserable Lage auf dem Arbeitsmarkt.« Für Gilbert selbst stellt sich die Frage der Auswanderung momentan nicht, »aber manchmal wünschte ich mir schon, ich könnte auch gehen«, sagt sie.

Moses Elisaf, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde der Stadt Ioannina, hat noch ganz andere Sorgen: Seit Beginn der Krise vor etwa fünf Jahren muss er mit ansehen, wie die Einkünfte seiner kleinen Gemeinde, früher durch die Vermietung von Immobilien gesichert, jetzt immer weiter schrumpfen, weil niemand mehr die Miete zahlen kann. Hinzu kommt die angehobene Mehrwertsteuer. Ohne die finanzielle Unterstützung durch die jüdische Gemeinde in Thessaloniki könnte er momentan weder den Betrieb der Synagoge noch den der jüdischen Schule aufrechterhalten.

Rechtsextreme Sorgen macht sich Elisaf auch um den Auftrieb der griechischen Rechtsradikalen, die momentan drittstärkste Partei im griechischen Parlament sind. »Scheitert Tsipras bei den Verhandlungen diese Woche in Brüssel, werden es die Juden in Griechenland noch schwerer haben als bisher«, befürchtet Elisaf, der als Dozent an der Uni von Ioannina arbeitet, wo ihm viele Ansichten zum Grexit zu Ohren kommen.

Die Krise hat den jüdischen Gemeinden in Griechenland stark zugesetzt. »Alle unsere Mitglieder versuchen, ihre Ausgaben zu reduzieren, damit sie in diesen schweren Zeiten weiter existieren können«, sagt David Saltiel, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Thessaloniki, der größten in Griechenland. Sie fühlt sich für alle anderen Gemeinden im Land mitverantwortlich und möchte helfen, wo sie kann.

Was die Rolle der Deutschen im Verhandlungsmarathon der EU betrifft, sind viele Gemeindemitglieder der Ansicht, dass Berlin umdenken sollte. »Zahlreiche Deutsche lieben Griechenland, manche haben hier Immobilien gekauft, andere haben unser Land aber auch beraubt. Das sollte man sich in Deutschland eindringlich vor Augen halten und Griechenland dementsprechend wertschätzen«, erklärt eine ältere Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Dann fügt sie hinzu: »Der Antisemitismus wächst wieder, links mehr als rechts. Die Juden werden für die finanziellen Probleme der Welt verantwortlich gemacht. Griechenland ist da keine Ausnahme.«

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  13.11.2025

Ausstellung

Avantgardistin der Avantgarde

Berthe Weill förderte nicht nur die moderne Kunst der Jahrhundertwende, als Galeristin war sie selbst eine Schlüsselfigur. Eine Ausstellung in Paris ehrt die Pionierin

von Sabine Schereck  13.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025