Herr Schuster, der Zentralrat der Juden hat den Vorsitz der internationalen Task Force gegen Antisemitismus J7 übernommen. Diese Woche tagen die Vertreter der sieben Staaten in Berlin. Welche Schwerpunkte wollen Sie während des sechsmonatigen Vorsitzes setzen?
Wir haben das Thema der »Schoa-Education« in das Zentrum unseres Vorsitzes gestellt. In die Zeit fielen der 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sowie – in dieser Woche – der 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Erinnerung an diese Zeit verblasst und gleichzeitig der Antisemitismus steigt. Es gibt hier also einen Zusammenhang, dessen Auswirkungen wir gemeinsam bekämpfen wollen. Während des Besuches der J7 werden wir auch die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen besuchen.
Warum ist es wichtig, dass sich die größten Verbände – Mitglieder sind die USA, Kanada, Argentinien, Großbritannien, Frankreich, Australien und Deutschland – immer wieder auch mit einer Stimme zu Wort melden?
Unsere Stimme wird gehört. Wir waren beim UN-Generalsekretär António Guterres. Ob er es gut fand, was wir zu sagen haben, mag ich nicht beurteilen, aber ignorieren konnte er uns nicht. Wir werden in dieser Woche auch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen. Es hilft auch deutschen Politikern, wenn sie die internationale Dimension des Antisemitismus sehen.
Welche Erfahrungen haben Ihre J7-Kollegen nach dem 7. Oktober 2023 in ihren Heimatländern – Stichwort Solidarität, Stichwort Antisemitismus – gemacht?
In den einzelnen Ländern gibt es ganz verschiedene Begebenheiten. Was wir aber sehen ist, dass vieles miteinander verknüpft ist. Die radikalen Proteste an Hochschulen waren in den USA sehr früh sehr stark, und dann kam genau das nach Europa.
Die J7 wurden im Jahr 2023 gegründet. Welche politischen Ergebnisse konnte der Zusammenschluss bislang erreichen?
Wir haben uns vor dem 7. Oktober 2023 gegründet. Der Grund war damals schon der rasante Anstieg an Antisemitismus weltweit, zum Teil mit Bezug zu Verschwörungserzählungen und Corona. Es geht in der J7 vor allem darum, die Bedrohung für Jüdinnen und Juden zu begreifen und voneinander zu lernen, wie man damit umgeht. Konkret hat die J7 eine wichtige Rolle in der Vernetzung der staatlichen Antisemitismusbeauftragten gespielt. Wir sind ein Impulsgeber.
»Beim Antisemitismus handelt es sich um ein globales Phänomen, das eine globale Antwort erfordert«, hieß es bei der Gründung der J7. Was sind die neuen Strategien zur Bekämpfung des Judenhasses?
Wir sind uns einig, dass historisch-politische Bildung im digitalen Zeitalter eine Schlüsselrolle spielen wird. Gleichzeitig können wir sehen, dass die Menschen das hassen, was sie nicht kennen. Die Lehre aus der Explosion des Antisemitismus nach dem 7. Oktober darf also kein Rückzug des Jüdischen sein. Gemeinsam mit den J7 Partnern sehen wir, dass in unserer Zeit Judentum und die liberale Demokratie zusammengehören. Das heißt auch: Wir müssen ein Teil unserer freiheitlichen Gesellschaften sein und uns nicht »desintegrieren«, wie manche meinen.
Mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland sprach Philipp Peyman Engel.