USA

Wie ein böser Traum

Die New Yorker Polizei rückte vergangene Woche an, um an der Columbia University weitere Eskalationen zu verhindern. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Man wünscht sich immer noch vergebens, dass Attacken gegen jüdische Studenten in den USA radikale Einzelfälle sind und dass das amerikanische Bildungssystem keiner nachhaltigen Bedrohung ausgesetzt ist.

Wenn man mich fragt, was eigentlich an meiner Universität los ist, der Columbia University in New York City, weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Nicht nur seit der vergangenen Woche ist der Aufruhr groß, nachdem die New Yorker Polizei auf den Campus marschiert ist und rund 100 Protestierende des »Gaza Encampment« (Gaza-Zeltlager), der »liberated zone« (befreiten Zone) auf dem Columbia Campus verhaftet und nur wenige Stunden später wieder freigelassen hat.

Abschlussfeier abgesagt

Und nicht nur vom Columbia Campus, sondern von einer viel zu langen Reihe anderer US-Universitäten gibt es erschreckende Nachrichten und Bilder. Dabei handelt es sich zumeist um die angesehensten Universitäten des Landes: Harvard und Yale, New York University und Rutgers, die Universitäten von Kalifornien wie UC Berkeley oder USC, University of Southern California. An Letzterer wurde gerade die Graduation Ceremony, das Herzstück der Ausbildung einer jeden US-Uni, aus Sicherheitsgründen abgesagt, weil man befürchtet, mögliche Pro-Palästina-Proteste nicht mehr rechtzeitig bis zu den Abschlussfeiern unter Kontrolle zu bekommen.

Einer jüdischen Studentin wurde ins Auge gestochen, als sie sich einem Protest näherte.

Und es geht nicht nur um Pro-Palästina-Proteste, es geht bei Weitem nicht mehr nur darum, seine Solidarität mit leidenden und hungernden Menschen in Gaza zu zeigen, sondern darum, jüdische und israelische Studenten in den USA systematisch für die Situation im Nahen Osten verantwortlich zu machen.

Am Campus der Northwestern University in Evanston, Illinois, wird sich für die Ausradierung (»Elimination«) Israels starkgemacht, in Yale wurde einer jüdischen Studentin ins Auge gestochen, als sie sich einem Protest näherte, und an der Columbia brüstete sich kürzlich einer der Anführer des mittlerweile landesweit berühmt gewordenen Gaza-Camps damit, dass man ihm dankbar sein müsse, dass er noch keine Zionisten umgebracht habe: »Zionists don’t deserve to live (…). Be grateful that I am not just going out and murdering Zionists.«

Natürlich gibt es auch andere Schilderungen, solche einer friedlichen Atmosphäre innerhalb der Gaza-Camps an der Columbia und an anderen Nachmacher-Unis. Ich würde am liebsten antworten, dass ich gern übertreibe, dass meine Freunde und Mitstudenten dramatisieren und wir eigentlich nur Aufmerksamkeit wollen, weil wir mit unseren Noten oder in unseren Beziehungen unzufrieden sind.

Viele jüdische junge Menschen wünschen sich seit Monaten genau dies – dass sich alles nur als böser Traum entpuppt, aus dem sie aufwachen und wieder einfach nur Studierende an einer wunderschönen, altehrwürdigen Uni sein können, für deren Ausbildung sie teilweise den gesamten Kontinent überquert und ein Vermögen für Studiengebühren ausgegeben haben. Ein Leben, in dem ihnen von ihren Professoren – im besten Fall – nicht vorgeworfen wird, dass sie bei »From the river to the sea« und »Intifada« gefälligst nicht zusammenzucken sollen – denn was soll denn daran antisemitisch sein? – und, im schlimmsten Fall, von anderen Professoren nicht als israelisch-jüdisches Wesen bezeichnet werden, dessen vulgärerer Charakter »bone-deep« reicht.

Ein Teil der Wahrheit

Auf die Frage, ob ich mir gezielt nur die schrecklichsten Vorkommnisse aussuche, um damit das gesamte Campus-Leben zu pauschalisieren und alle propalästinensischen Studenten unter Generalverdacht zu stellen, würde ich am liebsten antworten, dass die Anzahl solcher Vorfälle tatsächlich verschwindend gering ist. Dass es auch jüdische Studenten in den Gaza-Camps gibt, die sich ganz und gar nicht angegriffen fühlen und dass es gemeinsame friedliche Bemühungen sind, die ein Bewusstsein für die desaströse Lage in Gaza zu wecken versuchen. Denn das ist auch ein Teil der Wahrheit.

Doch dann würde ich ausblenden, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle an US-Universitäten seit dem 7. Oktober 2023 auf über 1000 gesprungen ist – ein Anstieg um 700 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dann würde ich ignorieren, dass neben Hamas-Anführern auch Irans oberster Führer lobende Worte über die studentischen Proteste in den USA geäußert hat. Dann würde ich auch ignorieren, dass neben Israel-Flaggen ebenfalls amerikanische Flaggen beschmutzt oder verbrannt wurden und dass, wie an der Universität Michigan, neben »Free Palestine« auch »Death to America« gerufen wird. Denn darauf scheint es derzeit hinauszulaufen – nicht mehr »nur« Israelis und Juden zu verunglimpfen, sondern sich am gesamten Westen und insbesondere an den USA rächen zu wollen.

Juden und Israelis werden verunglimpft. Es geht um Rache am gesamten Westen.

Selbstverständlich kann und will ich nicht davon ausgehen, dass es sich um eine konzertierte Aktion aller individuellen Studenten handelt, die mit Kufiyah herumlaufen und hin und wieder den Unterricht schwänzen, weil sie lieber mit Palästina-Flaggen um den Campus ziehen. Es gab auch eine Reihe an israelischen Protesten, die zu Recht provozierend auf palästinensische Gruppen gewirkt haben, und es gab und gibt auch Israelis hier, die für die palästinensische Zivilbevölkerung wenig bis gar keine Empathie übrighaben.

Extremistischer Ideologien statt demokratische Grundprinzipien

Der Unterschied ist nur, dass keiner von ihnen bislang Personen des öffentlichen Lebens, die gegensätzliche Standpunkte vertreten, niedergebrüllt hat, so wie es vor Kurzem eine wütende Meute wagte, einen der ranghöchsten US-Politiker, House Speaker Mike Johnson, mit »Mike you suck«, »speak up, you piece of s*it« und anderen Beleidigungen unhörbar zu machen, als dieser jüdischen Studenten der Columbia University einen Loyalitätsbesuch abstattete.

Der Unterschied ist, dass es bislang nur eine Seite ist, die der respektvollen Debattenkultur und einer akademisch geführten Auseinandersetzung nicht nachzukommen scheint. Und der vielleicht größte Unterschied besteht darin, dass eine Seite offenbar kein Hehl mehr daraus macht, die Grundprinzipien ihres eigenen Landes, der Vereinigten Staaten von Amerika, zugunsten extremistischer Ideologien und Terror-Verständnis verwerfen zu wollen.

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