Großbritannien

Wie die Makkabäer

Rotkäppchen möchte Wissenschaftlerin werden. Das sieht die Mutter anders. Und dann ist da noch das große, böse Schwein. Foto: JW3

Großbritannien

Wie die Makkabäer

Ein jüdisches Kulturzentrum in London bietet die Chanukka-Version einer alt-englischen Theatertradition

von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski  07.12.2023 12:46 Uhr

Eine ulkige Dame mit glitzerndem roten Umhang stürzt sich neben den Stuhlreihen der Theaterzuschauer die Treppe hinab, halb fallend, halb über das Geländer rutschend, und dann mitten hinein in eine winterliche Fantasielandschaft auf der Bühne. Sie tanzt und singt, einen Dreidel in der einen, einen Chanukkaleuchter in der anderen Hand: »You spin me right ’round, Baby, right ’round, like a Dreidl, Baby, right ’round, ’round, ’round«. Den 80er-Jahre-Hit der Band Dead or Alive spielt eine Klezmerkombo besonders mitreißend.

Rotkäppchen und das große, böse Schwein, das Stück, aus dem diese Gute-Laune-Szene stammt, ist ein derartiges Novum in der britischen Theaterwelt, dass die Ankündigung für den Winter bereits seit dem Sommer für Schlagzeilen sorgt.

»Pantos« sind lustige Theaterstücke

Es soll sich nämlich um die allererste moderne jüdische Pantomime überhaupt handeln. Wobei Pantomime – oder auch Panto genannt – im Englischen eine ganz andere Bedeutung hat als im Deutschen: »Pantos« sind lustige Theaterstücke, welche traditionell in vielen englischen Volkstheatern zur Weihnachtszeit aufgeführt werden. Sie nehmen sich meist bekannte Märchen vor, die mit allerlei Komik, Tanz, Slapstick, Satire und Kostümen aufgemöbelt werden. Statt stummes Gebärden-Schauspiel gibt es fröhlich-wild-lautes Theater, an das ausdrücklich die Erwartung geknüpft ist, dass das Publikum sich auch beteiligt.

Traditionell enden diese Pantos mit dem gemeinschaftlichen Singen von »We wish you a Merry Christmas and a Happy New Year«, schließlich sind sie Teil der britischen Weihnachtstradition. Bei der ersten jüdischen Panto darf man sich nun auf ein aufrichtiges »Happy Hanukkah« freuen.

Rotkäppchen und das große, böse Schwein wird zwischen dem 10. Dezember und dem 7. Januar im jüdischen Kulturzentrum JW3 im Londoner Norden zu sehen sein. Das Panto-Stück ist der ganze Stolz von William Galinski, dem Programmdirektor des Zentrums.

Es stimme und stimme wiederum nicht ganz, dass es die erste jüdische Panto sei, gibt Galinski zu bedenken. Damit meint er, dass es diese Art von Schauspiel einst im jiddischen Theater gegeben habe. »Gerade hier in London, im East End, vor 100 bis 150 Jahren, wo man buchstäblich freitagabends Hamlet auf Jiddisch sehen konnte, wird es das gegeben haben.«

Nicht nur Anspielungen auf Chanukka machten die jüdische Panto zu etwas Besonderem.

Galinksi ist seit Langem ein Theater-Enthusiast, vor allem des jüdischen Theaters, dem er sogar sein Leben verdankt, denn seine Eltern haben sich einst in einer jüdischen Theatergruppe in Leeds kennen- und lieben gelernt. »Theaterbesuche gehören seit Langem zum Leben der vielen kleinen jüdischen Gemeinschaften Großbritanniens, genauso wie das traditionelle Geschichtenerzählen zu den Festen gehört, wie Purim und Pessach«, sagt Galinski. Wie natürlich auch die Geschichte der Makkabäer zur Chanukka-Zeit.

Nicht nur Anspielungen auf Chanukka machten die jüdische Panto zu etwas Besonderem, sondern auch die Einarbeitung von Szenen, die das gegenwärtige britisch-jüdische Leben reflektierten, sagt der Programmdirektor. So spiele der Dramatiker Nick Cassenbaum mit den charakterlichen Verschiedenheiten der Londoner Jüdinnen und Juden, die er den Vierteln, aus welchen sie stammen, zuordnet. Zum Beispiel die Taxifahrer im östlichen Teil der Stadt und die Akademiker im nördlichen. Jeder soll sich wiederfinden.

Unterhaltung für Kinder und Erwachsene

Die Panto spricht dabei, so will es die Tradition, sowohl Kinder als auch Erwachsene an. Der schwarze Erwachsenenhumor wird dabei allerdings gut versteckt. Auch bei den Rollen mixen sich jüdisches und englisches Panto-Verständnis. In Rotkäppchen und das große, böse Schwein will die Heldin »Red«, gespielt von Gemma Barnett, Wissenschaftlerin werden. Doch ihre Mamme »Mother Hoodman«, gespielt von Debbie Chazen, fordert, dass ihre Tochter stattdessen einen jüdischen Jungen »aus wohlhabender Familie« heiratet.

Neben dem bösen Wolf, den der professionelle Clown Lauren Silver spielt, gibt es außerdem ein schrecklich unkoscheres Schwein, dargestellt von Comedian Josh Glanc. Und natürlich kommt in dem Stück eine »Bubbah« – Großmutter – vor, der der Zirkusakrobat Thiago Fonseca besondere Wendigkeit und Stärke verleiht. Die Wölfe und Schweine der Fantasiewelt haben von dieser Großmutter einiges zu befürchten.

Neben Dead or Alive hat Musikdirektor Josh Middleton noch viele andere Musiknummern »angepasst«: etwa von Barbra Streisand, Paul Simon oder auch von der Rapperin Doja Cat. Alle Interpreten haben einen jüdischen Familienhintergrund. Auch der Augenklappen-bewehrte Pete Burns von Dead or Alive.

Aber trotzdem sei diese Panto ein live vorgetragenes Klezmer-Musical, das alle, nicht nur jüdische Zuschauer, begeistern soll, so Galinski. »Sie sollen bei uns ihre Probleme und Sorgen vergessen, gerade in dieser schweren Zeit.«

»Bubbah« ist eine unerwartet starke und wendige Großmutter.

Debbie Chazen, die sich als »Mother Hoodman« gleich zu Beginn singend und tanzend die Treppe herunterstürzt, glaubt, dass das Stück mit seiner besonderen Kombination aus englischer Pantomime und dem jüdischen Geschichtenerzählen ein perfektes Match sei.

Die renommierte und beliebte britisch-jüdische Schauspielerin sagt, sie habe nicht lange nachdenken müssen, als sie für Rotkäppchen und das große, böse Schwein angefragt wurde. »Ich liebe Pantos, weil sie Teil meines Lebens sind. Seit meiner Kindheit liebe ich sie.« Ihre »Mother Hoodman« sei eine überkandidelte Mutter, die viel Heiterkeit und Blödelei auf die Bühne bringe und alles nicht so ernst nehme. »Wir wollen eine Fantasiewelt schaffen, in der man sich über alles kaputtlachen kann.«

Auch Chazen betont, wie wichtig das Lachen gerade jetzt in der jüdischen Welt sei. »Ich habe es schon immer geliebt, Leute zum Lachen zu bringen. Und in dieser Panto ist es mir ausdrücklich erlaubt!«

Ob Londoner oder internationale Besucher, religiöse oder nicht-religiöse, jüdische und nichtjüdische, Kinder oder Erwachsene, diese jüdische Panto spreche einfach alle an, freut sich Galinski. Neben den bereits ausgebuchten Vorführungen freut er sich besonders, dass auch schon ganze Schulklassen angemeldet sind. Wer danach mehr will, für den halte das Kulturzentrum zudem eine künstliche Eisfläche zum Schlittschuhlaufen bereit.

Sollte Rotkäppchen und das große, böse Schwein der erhoffte Erfolg beschieden sein, wird es sicher nicht bei einer jüdischen Panto bleiben. Galinski und Chazen sind zuversichtlich.

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025