Auschwitz

Auschwitz-Museum konserviert Schuhe von ermordeten Kindern

Schuhe ermordeter Kinder im früheren KZ Auschwitz, das heute eine Gedenkstätte ist Foto: picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

In einem modernen Labor auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz ist ein Mann mit blauen Gummihandschuhen dabei, mit einem Skalpell Rost von den Ösen kleiner brauner Schuhe zu kratzen. Sie gehörten Kindern, die in den Gaskammern des KZ ermordet wurden. Kollegen und Kolleginnen am anderen Ende des langen Arbeitstischs reiben Staub und Schmutz vom fragilen Leder, mit einem weichen Tuch und sanften kreisenden Bewegungen. Die Schuhe werden dann in einem benachbarten Raum gescannt, fotografiert und katalogisiert.

Die Arbeiten sind Teil eines im April begonnenen zweijährigen Projekts mit dem Ziel, 8000 Kinderschuhe in dem einstigen KZ zu konservieren, in dem die Nazis während des Zweiten Weltkriegs 1,1 Millionen Menschen umbrachten. Das Todescamp lag in einem damals von den Deutschen besetzten Teil Polens und ist heute eine Gedenkstätte und ein Museum, vom polnischen Staat verwaltet - dem somit die äußerst emotionale Aufgabe und Verantwortung zukommt, die Zeugnisse des Massenmords zu erhalten.

Zerstörung von Beweisen Die Nazis zerstörten Beweise ihrer Gräueltaten in Treblinka und anderen Konzentrationslagern, aber auf dem ausgedehnten Gelände von Auschwitz gelang ihnen das nicht gänzlich, bevor sie gegen Ende des Kriegs vor den anrückenden sowjetischen Truppen flohen.

Acht Jahrzehnte später sind manche Beweisstücke dabei, zu verschwinden, wofür neben der fortschreitenden Zeit auch der Massentourismus eine Rolle spielt. Haare zum Beispiel, die Opfern vom Kopf geschoren und zum Teil zu Tuch verarbeitet wurden, verwandeln sich in Staub.

Aber mehr als 100.000 Schuhe gibt es noch, etwa 80.000 davon in großen Haufen, ausgestellt in einem Raum im Auschwitz-Museum. Viele sind verkrümmt, die Schnürsenkel zerfallen, und ihre ursprüngliche Farbe ist verblasst. Aber sie sind weiterhin Zeugnisse von Menschenleben, die unvorstellbar brutal verkürzt wurden.

Herzzerreissend Die winzigen Schuhe und Pantoffeln sind besonders herzzerreißend. »Kinderschuhe sind für mich die bewegendsten Objekte, denn es gibt keine größere Tragödie als die Tragödie von Kindern«, beschreibt Miroslaw Maciaszczyk, ein Konservierungsspezialist des Museums, seine Gefühle. »Ein Schuh ist ein Objekt, das eng mit einer Person, einem Kind, verbunden ist. Es ist eine Spur, manchmal die einzige, die von dem Kind geblieben ist.«

Maciaszczyk zufolge verlieren er und die anderen Konservatoren niemals die menschliche Tragödie aus den Augen, die hinter den Schuhen steckt, auch wenn sich ihre Arbeit auf technischen Aspekte konzentriert. Manchmal würden sie von ihren Gefühlen überwältigt, müssten eine Pause einlegen, schildert er.

Elzbieta Cajzer, die für die Museumssammlungen zuständig ist, sagt, dass die Konservierungsarbeiten stets einige individuelle Details über jene zu Tage förderten, die im KZ ermordet wurden. Insbesondere Koffer könnten Hinweise bieten, weil sie mit Namen und Adressen ausgestattet seien. Cajzer erwartet, dass auch die Arbeit an den Kinderschuhen einige persönliche Details offenbaren wird.

Geflickte Sohlen Sie gewährt zudem Einblicke in eine Zeit, in der Schuhe ein wertvolles Gut waren, das von Kind zu Kind weitergegeben wurde. Einige der Schuhe in Auschwitz weisen geflickte Sohlen und Spuren anderer Reparaturen auf.

Das Museum kann ungefähr 100 Schuhe pro Woche konservieren, seit Beginn des Projekts haben es die Mitarbeiter auf etwa 400 gebracht. Es ist nicht das Ziel, sie in ihren Originalzustand zurückzuversetzen. Sondern sie so wiederherzustellen, dass sie weitgehend sind, wie sie waren, als sie am Kriegsende gefunden wurden.

Im vergangenen Jahr haben Konservatoren bei ihrer Arbeit an Erwachsenenexemplaren in einem hochhackigen Frauenschuh einen italienischen 100-Lire-Schein und den Aufdruck des Schuhherstellers gefunden - Ranzini, ein damaliger Produzent in Triest. Die Schuhbesitzerin war wahrscheinlich Italienerin, aber man weiß nichts Weiteres über sie. 

Vera Vohryzkova Konservatoren fanden auch den Namen Vera Vohryzkova auf einem Kinderschuh. Zufällig hatte ein Museumsmitarbeiter denselben Familiennamen auf einem Koffer entdeckt, und das Museum konnte ein paar Puzzlestücke über die Familie zusammenfügen. Vera wurde am 11. Januar 1939 als Tochter jüdisch-tschechischer Eltern geboren und 1943 mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus dem Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz gebracht. Ihr Vater, Max Vohryzek, kam in einem getrennten Transport dort an. Sie alle starben.

Cajzer sieht in den Schuhen auch deshalb ein mächtiges Zeugnis, weil die großen Haufen einen Eindruck vom enormen Ausmaß der Verbrechen vermitteln - auch wenn das, was übrig ist, nur einen Bruchteil dessen darstellt, was war.

Bevor die SS-Männer Menschen in die Gaskammern schickten, befahlen sie ihnen, sich auszuziehen und sagten ihnen, dass sie zur Desinfizierung unter die Dusche gehen würden. »Wir sind in der Lage, uns vorzustellen, wie viele Menschen hierhin kamen, hofften, dass sie jene Schuhe nach einer Dusche wieder anziehen könnten. Sie dachten, sie würden die Schuhe zurückerhalten und weiter benutzen. Aber sie (die Schuhe) kehrten nie zu ihren Besitzern zurück«, so Cajzer. 

Kriegsmaschine In den meisten Fällen wurden die Schuhe und andere Habseligkeiten gesammelt und das Material zur Unterstützung der Kriegsmaschine des Dritten Reiches benutzt. Die 110.000 Schuhe in der Museumssammlung - so viele es auch sind - stammen wahrscheinlich allein von den letzten Transporten ins Lager, wie Cajzer sagt.

Das Projekt kostet 450 000 Euro und wird von der Auschwitz-Birkenau-Stiftung finanziert, zu deren Hauptspendern Deutschland zählt, und vom International March of the Living, einem Holocaust-Aufklärungsprogramm. Sowohl Cajzer als auch Maciaszczyk sagen, dass es unmöglich sei, die Schuhe für immer zu erhalten. Ihr Ziel sind mehrere weitere Jahre. »Unsere Konservierung verlangsamt diese Verfallsprozesse«, so Maciaszczyk. »Aber für wie lange, ist schwer zu sagen.«

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