Österreich

Wenn der Kurz mit dem Strache

Noch auf dem Weg zum Wahllokal diskutierte Evelyn Böhmer-Laufer mit ihrem Mann. »Bis zum Moment des Kreuzerlmachens hab’ ich geschwankt«, sagt die 67-jährige Psychotherapeutin. Ihr erging es wie vielen Menschen in ihrem Freundeskreis: Sie war unsicher, ob sie ihre Stimme taktisch vergeben sollte. Die SPÖ wählen, um einen ersten Platz der ÖVP unter Sebastian Kurz zu verhindern? Oder den Grünen ihr Kreuzchen geben, weil sie es wichtig findet, dass die Partei im Parlament vertreten ist, auch wenn deren Parteiprogramm, wie sie es nennt, der »Biss« fehlt?

Wofür sich Böhmer-Laufer, die Mitbegründerin des Peacecamp, eines gemeinsamen Ferienlagers für jüdische und arabische Jugendliche aus Israel, letztendlich entschied, möchte sie nicht verraten. Doch sie macht keinen Hehl daraus, dass das Ergebnis der österreichischen Nationalratswahlen vom 15. Oktober sie besorgt.

Mit 31,5 Prozent der Stimmen hatte die ÖVP die Sozialdemokraten deutlich überholt. Diese kamen nur auf 26,9 Prozent der Stimmen und hatten die rechtspopulistischen Freiheitlichen mit 26 Prozent knapp auf den Fersen. Den Grünen fehlten rund 10.000 Stimmen, um die Vier-Prozent-Hürde zu überwinden und in den Nationalrat einzuziehen.

FPÖ Vergangene Woche bekam ÖVP-Chef Sebastian Kurz den Auftrag zur Regierungsbildung. In einer Koalition mit der FPÖ, die zurzeit als wahrscheinlichste Option gehandelt wird, hätte er mit 113 von 183 Sitzen eine gemütliche Mandatsmehrheit. Während man innerhalb der jüdischen Gemeinde Österreichs wenige findet, die das gute Abschneiden der FPÖ goutieren, ist man sich uneins darüber, wie Sebastian Kurz zu bewerten ist.

Der in der Gemeinde bekannte Psychoanalytiker Martin Engelberg kandidierte für Kurz und errang ein Mandat. Auch der 32-jährige Eventmanager und DJ Daniel Bessler stand auf der Liste Kurz; ein Mandat hat er keines bekommen. Als Mitglied der Gemeinde und Person mit Migrationshintergrund – seine Eltern stammen aus Rumänien – habe er sich in dieser Bewegung willkommen gefühlt. »Ich bin kein Freund der freiheitlichen Partei, aber ich bin nicht in die Politik gegangen, um eine Partei zu verhindern«, sagt er. »Um sie zu stoppen, muss man ihr die Möglichkeit geben, zu zeigen, was sie kann oder nicht kann.«

Neujahrsempfang Mit Sebastian Kurz, der Außen- und Integrationsminister war und zu Rosch Haschana einen Neujahrsempfang gab, habe man ausgezeichnet zusammengearbeitet, ebenso wie mit Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), sagt Oskar Deutsch, Präsident der rund 8000 Mitglieder starken Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG).

In einer Pressemitteilung zwei Tage nach der Wahl gratulierte er Kurz zum Wahlergebnis, warnte aber zugleich vor antisemitischen, rassistischen und EU-feindlichen Einstellungen innerhalb der FPÖ. Symbolische Israelbesuche könnten das nicht kaschieren, schrieb Deutsch am vergangenen Sonntag in einem Facebook-Posting, das als offener Brief an ÖVP und FPÖ verfasst war. »Deutschnationale haben in der Regierung nichts verloren«, steht da, und: »Wenn sich der nationalistische Wolf einen blauen Schafspelz überzieht, ändert er sein Wesen nicht, nur sein Aussehen.«

Während in den Kommentaren auf Facebook einige Deutsch zu seinen klaren Worten beglückwünschten, liest man dort auch antisemitische Hetze. Neben Äußerungen wie »Ihr Juden gibt (sic!) nie Ruhe!« und »Was geht den Juden unsere Regierung an?« wird Deutsch als »Hetzer« und »Schmarotzer« beschimpft.

Silberstein Neujahrsempfang hin oder her – rund eine Woche vor der Wahl musste sich Kurz dem Vorwurf stellen, antisemitische Codes zu benutzen. Der Wahltag werde eine Abstimmung darüber sein, ob man »die Silbersteins und andere« in diesem Land haben wolle, sagte Kurz in einer Rede anlässlich des Landesparteitags der steirischen ÖVP.

War diese Anspielung auf den umstrittenen Ex-Wahlkampfberater der SPÖ, den Israeli Tal Silberstein, bewusst antisemitisch? Nach der Wahl erklärte Kurz der israelischen Tageszeitung Israel Hayom, der Kampf gegen Antisemitismus sei ihm wichtig.

Unter denen, die das für glaubhaft halten, ist Robert Herscovici (55), Unternehmer in Wien, der diesmal zum ersten Mal die ÖVP wählte. Es sei der einzige Weg gewesen, um »alteingefahrene Strukturen aufzubrechen«. Von Sebastian Kurz gebe es »keine einzige Aussage, die den Vorwurf von Rassismus und Antisemitismus rechtfertigen würde«. Dass sich viele der ÖVP-Positionen – etwa in der Zuwanderungspolitik – mit jenen der FPÖ zu überschneiden scheinen, interpretiert Herscovici als bewussten Schachzug: »Kurz hat versucht, FPÖ-Chef Strache das Wasser abzugraben. Sonst wäre der jetzt die Nummer eins.«

Der Rechtsruck beunruhigt die Psychotherapeutin Böhmer-Laufer trotzdem – obwohl sie nicht glaubt, dass er für die jüdische Gemeinde bedrohlich sein werde. »Er richtet sich nicht gegen Juden«, sagt sie. »Es gibt jetzt andere Sündenböcke: Flüchtlinge und Muslime.« Vielleicht, spekuliert sie, sei das einigen in der Gemeinde gar nicht so unrecht.

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025