Minsk

Wartesaal zur Endlösung

Einer der sogenannten Gaswagen, die in den besetzten Gebieten Polens und der Sowjetunion ab 1939 eingesetzt wurden. Foto: ullstein

Zur Erinnerung an die größte Vernichtungsstätte der Nationalsozialisten auf dem Boden der früheren Sowjetunion soll nach Plänen deutscher, österreichischer und weißrussischer Initiativen eine Gedenkstätte errichtet werden. In Maly Trostenez, das heute auf dem Gebiet der weißrussischen Hauptstadt Minsk liegt, sind nach jüngsten historischen Forschungen mindestens 60.000 Menschen erschossen oder in mobilen Gaswagen erstickt worden.

ERinnerung Aus Wien, Theresienstadt, Königsberg und Köln wurden 1942 Tausende Juden unter dem Vorwand, sie umzusiedeln, direkt nach Maly Trostenez deportiert. Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk aus Dortmund hat Ende März die Bemühungen für eine Gedenkstätte gestartet. »Der Toten von Maly Trostenez muss endlich gedacht werden«, sagte der Direktor des Bildungswerks, Matthias Tümpel. Der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf (SPD) unterstützt die Initiative.

Die weißrussische Hauptstadt Minsk wurde von der NS-Führung im Herbst 1941, wenige Monate nach dem Überfall auf die Sowjetunion, als möglicher Ort für die Ermordung europäischer Juden ausgewählt. »Das Reichssicherheitshauptamt hatte festgelegt, dass 25.000 Juden aus Deutschland, Österreich und Tschechien nach Minsk deportiert werden«, sagte die Berliner Historikerin Petra Rentrop.

Im Minsker Ghetto lebten zunächst weißrussische Juden. Um für Juden aus dem Deutschen Reich, Österreich und dem heutigen Tschechien Platz zu schaffen, »verübte die deutsche Besatzungsmacht dort im November 1941 einen Massenmord an 12.000 bis 14.000 Juden«, erklärt Rentrop. Danach wurden knapp 7000 Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt/Main, Berlin, Brünn, Bremen und Wien in dieses Ghetto gebracht. Historiker bezeichnen es heute als »Wartesaal der Endlösung«.

Umsiedlung »Die Juden aus dem Reich erlitten das grausame Schicksal, dass sie in der Nähe von Minsk, beim Landgut Maly Trostenez im Wald von Blagowschtschina erschossen oder in Wagen vergast wurden«, sagt Rentrop. 1942 wurden Juden aus Wien und Theresienstadt sowie aus Königsberg und Köln direkt nach Maly Trostenez deportiert. »Es ist besonders bitter, dass ihnen bis zum letzten Moment vorgegaukelt wurde, sie würden nur in das Gebiet der Sowjetunion umgesiedelt, während sie tatsächlich unmittelbar nach Ankunft in Maly Trostenez getötet wurden.«

Aus Wien – dafür liegen die eindeutigsten Zahlen vor – wurden 13.500 Juden nach Maly Trostenez deportiert. »Damit ist dies der Ort, an dem die meisten österreichischen Juden umgebracht wurden,« sagt Waltraud Barton, die Gründerin von IM-MER, der österreichischen Initiative zum Gedenken an die Opfer.

Über die genaue Zahl der Opfer von Maly Trostenez sind sich westliche und weißrussische Historiker nicht einig: In Weißrussland gelte weiterhin die 1944 von der sowjetischen Außerordentlichen Staatlichen Kommission festgelegte Gesamtzahl von 206.500 Todesopfern. Westliche Forscher hätten inzwischen jedoch nachgewiesen, so Rentrop, dass diese Zahl stark überhöht sei und gingen von mindestens 60.000 Ermordeten aus.

Aktion 1005 »An diesem Ort verübten die deutschen Besatzungstruppen ein weiteres, für uns heute unfassbares, Verbrechen«, sagt Tümpel vom Dortmunder Bildungs- und Begegnungswerk. 1943, als die Rote Armee bereits auf dem Vormarsch war, und deutsche Truppen den Rückzug aus der Sowjetunion antraten, öffneten Einheiten der sogenannten Aktion 1005 Mitte alle 34 Massengräber, zogen die Leichen heraus, raubten ihnen letzte Wertgegenstände, etwa Zahngold, und verbrannten sie. »So sollten die Spuren der Verbrechen von Maly Trostenez verwischt werden,« ergänzt der Autor des Buches Das kann man nicht erzählen. Die Aktion 1005, Jens Hoffman.

Bislang erinnern nur einige Tafeln, nicht größer als Grabsteine, an die Toten. Die Stadt Minsk hat daher jetzt ein Gelände für eine Gedenkstätte freigegeben und bereits konkrete Pläne für ein Mahnmal, berichtete die Architektin der Stadt, Anna Aksjonowa. Darüber hinaus aber haben die deutsche und österreichische Initiative Interesse an einer weiteren Gedenkstätte im Wald Blagowschtschina, dem Ort der Massenerschießungen. epd

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  05.11.2025 Aktualisiert

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Spanien

Francos Erbe

Das Land, das den Sefardim einst ihren Namen gab, verlangt seinen Juden heute einiges ab

von Valentin Suckut  03.11.2025