Weißrussland

Warten auf das Kaddisch

Die Ausgrabungen in Brest brauchen viel Zeit. Foto: imago/ITAR-TASS

Das Kaddisch für die Toten im weißrussischen Brest, deren sterbliche Überreste vergangene Woche bei Bauarbeiten im Zentrum der Stadt gefunden wurden, wird wohl Rabbiner Grigory Abramowitsch sagen. »Wir hoffen, dass die Gebeine der Juden, die während der deutschen Besatzung im Brester Ghetto ermordet wurden, ebenso würdevoll bestattet werden wie die der Opfer des Vernichtungsortes Maly Trostenez im Juni 2018«, sagt er.

Noch aber ist unklar, was genau mit den Knochen der rund 700 Menschen geschehen soll. Denn wie in den anderen größeren weißrussischen Städten gibt es auch in Brest drei Gruppen von Juden: eine orthodoxe, eine liberale sowie eine eher säkulare. Sie alle werden sich zu Wort melden. Dabei ist die jahrhundertealte jüdische Tradition der Stadt nach den Worten des Minsker Historikers Alexander Dalhouski heute kaum noch sichtbar.

In Brest wird nun darüber diskutiert, was nach dem Fund der Toten geschehen soll.

Auf dem Areal, wo man die Toten jetzt entdeckt hatte, lebten zwischen 1941 und 1944 rund 17.000 Juden in einem Ghetto, das die deutschen Besatzer dort errichtet hatten. Aber während die meisten ihrer Bewohner wie in anderen Ghettos auch in eines der Vernichtungslager deportiert wurden, kam es hier in Brest bereits 1942 zu Massenerschießungen, bei denen Tausende jüdische Männer, Frauen und Kinder vor Ort ermordet wurden.

Bauarbeiten In Brest wird nun darüber diskutiert, was nach dem Fund der Toten geschehen soll. Während die Anwohner dafür plädieren, die Bauarbeiten zu stoppen und vielleicht eine Gedenkstätte einzurichten, will die Baufirma dort weiterhin wie geplant Wohnhäuser errichten. In diesem Fall würden die Knochen dann auf dem Severnoe-Friedhof beigesetzt.

Für ein solches Vorgehen gibt es bereits ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr: Erst im Juni 2018 hatte man in der Hauptstadt Minsk eine weiträumige Gedenkstätte an genau der Stelle errichtet, wo einst Deutsche und ihre lokalen Helfershelfer mehr als 60.000 Menschen ermordet hatten, die meisten davon Juden aus Weißrussland und Russland, aber auch aus Deutschland, Österreich und Tschechien.

Ruhe Bevor sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko sowie dem österreichischen Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen offiziell eingeweiht wurde, konnten dort in einer religiösen Zeremonie die sterblichen Überreste vieler Opfer, die man auch an anderen Orten gefunden hatte, gesegnet und beerdigt werden. Daran beteiligt waren der Minsker Rabbiner der Reformgemeinde, Grigoriy Abramowitsch, Geistliche der weißrussischen orthodoxen und katholischen sowie der deutschen evangelischen Kirche. »Ich hoffe, dass wir den Menschen aus Brest genauso würdig ihre letzte Ruhe geben können«, erklärte Abramowitsch.

»Ich hoffe, dass wir den Menschen aus Brest genauso würdig ihre letzte Ruhe geben können.«

Die offizielle Haltung gegenüber Juden hat sich seit der Unabhängigkeit Weißrusslands gewandelt. So sprach Lukaschenko 2008 erstmals von Juden und der Schoa. Zu sowjetischen Zeiten wäre so etwas undenkbar gewesen. Als Opfer des Großen Vaterländischen Krieges galten nur Sowjetbürger, die als Soldaten und Soldatinnen, Partisanen oder Zivilisten zu Tode kamen.

Vernichtung Wie viele davon Juden waren, lässt sich heute nur schwer beziffern. Fakt aber ist, dass Weißrussland von den Nationalsozialisten zu einem der blutigsten Orte der Vernichtung der Juden Europas gemacht wurde.

Die reiche jüdisch-weißrussische Geschichte wurde weitestgehend ausgelöscht. »In Brest stand einst eine große Synagoge. Auch sie wurde zerstört. An dem Ort steht heute ein Kino, wo erst seit Dezember vergangenen Jahres eine Plakette an das Gotteshaus erinnert«, berichtet Dalhouski.

»Unweit des Kinos steht auch das Denkmal für die 1000-jährige Geschichte von Brest, das das jüdische Leben aber mit keinem einzigen Wort erwähnt«, ergänzt Dalhouski. Seine Hoffnung: Der jüngste Fund der sterblichen Überreste könnte der jüdischen Geschichte Brests mehr Aufmerksamkeit verleihen.

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025

Italien

Der Anti-Banksy

AleXsandro Palombo unterstützt mit seiner Kunst Israel, anstatt es zu verdammen

von Federica Matteoni  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025

Irland

Dublins Herzog-Park wird vorerst nicht für Palästina befreit

Das ging selbst der israelkritischen Regierung Irlands zu weit: Die Dubliner Stadtverwaltung hat Pläne gestoppt, eine nach Israels sechstem Staatspräsidenten Chaim Herzog benannte Grünanlage umzubenennen

von Michael Thaidigsmann  01.12.2025

USA

Ein Stadtneurotiker wird 90

Woody Allen steht als Autor, Regisseur und Schauspieler für einzigartige Filme. Doch bis heute überschatten Missbrauchsvorwürfe sein Lebenswerk

von Barbara Schweizerhof, Sophie Albers Ben Chamo  29.11.2025

Meinung

Wenn ein Botschafter Schoa-Überlebende zu Lügnern erklärt

Tom Rose, neuer US-Botschafter in Warschau, hat in einer Rede die Komplizenschaft Tausender Polen während des Holocaust bestritten. Das ist fatal für das Ansehen der USA

von Menachem Z. Rosensaft  29.11.2025

Großbritannien

Frauen haben Besseres verdient

Die Journalistin Marina Gerner beklagt in ihrem Buch fehlende Innovationen im Bereich Frauengesundheit – und eckt nicht nur mit dem Titel an

von Amie Liebowitz  28.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  28.11.2025

Niederlande

Demonstranten stören Vorlesung in Gedenken an Nazi-Gegner

An der Universität Leiden erzwangen antiisraelische Studenten die Verlegung einer Gedächtnisvorlesung zum Andenken an einen Professor, der während der Nazi-Zeit gegen die Judenverfolgung protestiert hatte

von Michael Thaidigsmann  28.11.2025