Verehrte Leserin, verehrter Leser, es scheint kein Geheimnis mehr zu sein, dass eine der erfolgreichsten Serien der Streamingplattform Netflix mit der nächsten Staffel zurück auf den Bildschirm kommt, um das Publikum mit einer frischen Dosis an Regency-Romantik zu beglücken. Allerdings wird Bridgerton-Fans reichlich Geduld abverlangt, denn die neuen acht Folgen werden erst 2026 ausgestrahlt. Wann genau, ließ die US-Produktionsfirma Shondaland offen.
Neu veröffentlichte Teaser der soeben abgedrehten vierten Staffel zeigen immerhin, dass auch diesmal für reichlich weiche Knie und flatternde Herzen gesorgt ist, wenn nun Benedict, Zweitältester der Bridgerton-Dynastie, mit Drama, Komödie und Skandal um die Liebe seines Lebens kämpfen wird. Und, so viel ist bekannt, der unkonventionelle Sohn, der sich der Kunst und den Freuden des Lebens verschrieben hat, wird auf eine fesselnde Dame stoßen, die ebenfalls nicht ganz den Vorstellungen des »ton«, also der Oberschicht, entspricht.
Die Netflix-Adaption ist für eigene Interpretationen bekannt
Ob sie sie eines Besseren belehren kann, wird sich zeigen. Ebenso wie eng sich die Erfolgsserie an die gleichnamige Buchreihe von Julia Quinn halten wird, die jedem der acht Geschwister einen eigenen Band gewidmet hat. Die Netflix-Adaption ist für eigene Interpretationen bekannt. So zeigt die Serie eine diverse Gesellschaft. Doch während sie Lob dafür erhielt, gab es auch Kritik, dass die tatsächliche Ausgrenzung und Diskriminierung in der damaligen Zeit nicht angemessen abgebildet worden sei. Dazu könnte man anmerken, dass die Autorin, die selbst Jüdin ist, ihre Bücher nicht um jüdische Aspekte ergänzt hat.
Quinn, mit bürgerlichem Namen Julie Pottinger, versäumte es, das Bridgerton-Universum mit jüdischen Charakteren oder Handlungssträngen auszustaffieren, wo sich dieses doch mit den gesellschaftlichen Normen der Zeit zumindest teilweise auseinandersetzt. Sie hatte lediglich in verschiedenen Interviews erwähnt, dass sie sich von ihrer Familie und ihrem jüdischen Erbe habe inspirieren lassen. Wo sich das in der Regency-Romantik niederschlug, bleibt im Verborgenen.
Während Bridgertons inklusives Casting ein Schritt nach vorn bei der Diversifizierung von Regency-Geschichten ist, ist die Abwesenheit jüdischer Charaktere durchaus eine verpasste Gelegenheit. Denn im georgischen England gab es eine große jüdische Präsenz, ein Leben, das vermutlich genauso bunt und interessant war wie das der Charaktere in Bridgerton.
In vielerlei Hinsicht legten die Regency-Juden den Grundstein für ein modernes jüdisches Leben, initiierten einen Prozess der sozialen Integration und eine Verschiebung hin zu weniger strenger Befolgung der religiösen Gesetze, die viele jüdische Gemeinschaften in Großbritannien und den USA seit dieser Zeit ausgezeichnet hat.
Wohlhabende Juden hielten eigene Bälle ab – häufig zu den jüdischen Feiertagen.
Zwischen 1290 und den 1650er-Jahren wurden Juden aus England verbannt. Viele kehrten jedoch zurück, nachdem das Verbot aufgehoben worden war. Die antisemitische Gewalt war im Vergleich zu anderen Teilen Europas weniger ausgeprägt, wenn auch Juden immer noch mit erheblichen Vorurteilen und gesellschaftlichen Barrieren konfrontiert waren. Erst 1858 wurde Juden das Wahlrecht eingeräumt. Der Mangel an juristischer Emanzipation hinderte Juden daran, vollständiger Teil der Gesellschaft zu werden, und limitierte ihren Zugang zu verschiedenen Bereichen des bürgerlichen Lebens.
Ohne Emanzipation konnten Juden nicht wählen, öffentliche Ämter bekleiden oder zum Militär gehen, da all diese einen anglikanischen Eid erforderten, von dem Juden ausgeschlossen waren. Sefardische Juden im georgischen England hatten es leichter, sich in die oberen Klassen zu integrieren, als die neu angekommenen aschkenasischen Juden, die oft weniger gebildet und ärmer waren. Viele Sefarden hatten säkulare Praktiken angenommen, zum Teil, weil sie von Juden abstammten, die gezwungen worden waren, zum Christentum zu konvertieren, und sich während der spanischen Inquisition der spanischen oder portugiesischen Kultur anpassten.
Aschkenasen der Arbeiterklasse wiederum sprachen oft Jiddisch untereinander, was ihren englischen Nachbarn nicht gefiel. Die Juden der Mittel- und Oberschicht sprachen auch zu Hause Englisch. In dieser Zeit verschwanden jiddische Synagogenaufzeichnungen zugunsten von Englisch und Hebräisch. Die Große Synagoge von London beschloss gar, ihre Ankündigungen nur noch auf Englisch auszugeben; ein in der Gemeinde umstrittener Schritt. Auch in der Regency-Gesellschaft war Antisemitismus verwurzelt. Juden wurden oft als nicht vertrauenswürdig stereotypisiert. Die Medien spielten dabei eine große Rolle und berichteten oft über negatives Verhalten von Juden.
Während die meisten Juden innerhalb der jüdischen Gemeinschaften lebten und heirateten, gab es auch viele, die sich bemühten, der High Society beizutreten. Diejenigen, die wohlhabend genug und bereit waren, ihre jüdische Identität zu verbergen, hatten manchmal Erfolg. Sie konvertierten, wurden zu Partys eingeladen, ließen ihre Porträts von renommierten Künstlern malen und spielten Karten in denselben Klubs wie die Aristokratie. Sie spendeten an christliche Wohltätigkeitsorganisationen und feierten Weihnachten.
Bälle sind das Stichwort bei »Bridgerton«
Wohlhabende Juden, die nicht Teil des »ton« waren, hielten eigene Bälle ab und verorteten sie kalendarisch oft um die jüdischen Feiertage. Bälle sind das Stichwort bei Bridgerton. Die Serie berührt immerhin Themen, die besonders in der jüdischen Orthodoxie relevant sind, so zum Beispiel die Macht des Klatsches und den gesellschaftlichen Druck der Ehe. Der jüdische Begriff »laschon hara«, also der üblen Nachrede oder Klatsch, ist eine tragende Säule der Serie.
Auch das Schlaglicht auf den Heiratsmarkt und das Ideal, möglichst jung zu heiraten, können als Spiegelbild bestimmter Aspekte der orthodoxen Dating-Kultur gesehen werden. So transportiert Bridgerton letztlich doch jüdische Aspekte, immerhin auf den zweiten Blick. Und wer weiß, möglicherweise treten in Staffel fünf bis acht irgendwann ja doch noch ein jüdischer Lord oder eine jüdische Countess in Erscheinung. Auch hier wird sich das Publikum gedulden müssen.