Grossbritannien

Vom Brexit zum Brexodus

Foto: Thinkstock

Grossbritannien

Vom Brexit zum Brexodus

Seit dem Referendum wächst im Königreich das Interesse an deutschen Pässen

von Linda Rachel Sabiers  11.07.2016 18:47 Uhr

Ihre Vorfahren erreichten Großbritannien mit den sogenannten Kindertransporten zwischen November 1938 und September 1939 sowie kurz nach Kriegsende als Überlebende des Nazi-Regimes. Britische Juden mit deutschen Wurzeln sind fester Bestandteil der zweitgrößten Gemeinde Europas. Während in Deutschland das Narrativ von den gepackten Koffern seit jeher wie ein Schatten über diversen Debatten schwebt, gibt man dem in England, Wales und Schottland keinen Raum. Man kam, blieb und wurde britisch.

Doch seit dem 23. Juni, als die Briten bei einem Referendum über den Austritt aus der EU abstimmten, mischt sich Ungewissheit unter die tendenziell selbstbewusste Stimmung. Laut Informationen des »Independent« waren rund zwei Drittel der jüdischen Wähler gegen den sogenannten Brexit. Eine Umfrage des »Jewish Chronicle« scheint dies zu bestätigen: Demnach seien 59 Prozent der Befragten unzufrieden mit dem Ergebnis des Referendums.

Angst Brexit, Brexodus, Bregret: Hinter diesen Schlagworten verbirgt sich für religiöse und ethnische Minderheiten die Angst, in ihrer Nachbarschaft nicht mehr friedlich und unbehelligt leben zu können. Daher sehen sich auch viele jüdische Familien, die ihre Wurzeln in Deutschland haben, im Rahmen dieses politischen Umbruchs mit ihrer ganz persönlichen Debatte konfrontiert: Staying or leaving? Bleiben oder gehen?

Dabei nehmen sie vermehrt Artikel 116, Paragraf 2 des deutschen Grundgesetzes in Anspruch. Dieser besagt: »Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern.«

Der Gedanke, sich beim Abdriften des Inselstaats 71 Jahre nach Kriegsende einen deutschen Pass zu besorgen, scheint nicht mehr abwegig. Öffentlich hält man sich mit Äußerungen bedeckt, dies geschieht hinter vorgehaltener Hand. Im Auswärtigen Amt heißt es: »Die Botschaft in London haben seit dem 24. Juni spürbar mehr Anfragen im Zusammenhang mit der deutschen Staatsangehörigkeit erreicht.« Darunter seien auch einige, die sich gezielt nach einer Möglichkeit der Wiedereinbürgerung erkundigen. Den Trend beobachten ebenso die Botschaften anderer EU-Staaten in London. So erkundigen sich Briten neuerdings vermehrt nach Pässen für Frankreich, Italien oder Irland.

nationalismus Neben der Angst vor wachsendem Nationalismus ist es die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen, die das Brexit-Referendum seit Monaten begleitet. Beide Aspekte sind für viele ausschlaggebend, über die Beantragung eines deutschen Passes nachzudenken.

Michael Newman, Geschäftsführer der Association of Jewish Refugees (AJR), äußert sich besorgt zur aktuellen Lage: »Es gibt große Bedenken bei den Mitgliedern der AJR bezüglich ungeahnter Folgen des Brexits. Auch wir erhalten zahlreiche Anfragen dazu, wie man die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt.« Viele hätten Angst, sagt Newman, dass sich neben der aktuellen Unsicherheit das Gefühl breitmacht, der Brexit würde weniger liberale Strömungen begünstigen.

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Tel Aviv

Noa Kirel und Daniel Peretz heiraten mit »kleiner Feier«

Die Sängerin und der HSV-Torwart standen in Jaffa unter großen Sicherheitsvorkehrungen unter der Chuppa

von Nicole Dreyfus  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

USA

Mehrgewichtig, zionistisch und stolz

Alexa Lemieux ist Influencerin in den sozialen Medien und zum Vorbild für viele junge jüdische Frauen geworden

von Sarah Thalia Pines  11.11.2025

Prag

Der Golem-Effekt

Seit mehr als fünf Jahrhunderten beflügelt das zum Schutz der Juden geschaffene Wesen aus Staub und Worten die Fantasie. Ein Blick zurück mit Büchern, Filmen und den »Simpsons«

von Sophie Albers Ben Chamo  11.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Wien

Österreichs Regierung mit neuer Strategie gegen Antisemitismus

KI-gestützte Systeme zum Aufspüren von Hate Speech, eine Erklärung für Integrationskurse, vielleicht auch Errichtung eines Holocaust-Museums: Mit 49 Maßnahmen bis zum Jahr 2030 will Wien gegen Antisemitismus vorgehen

 10.11.2025

Jerusalem

Zerstrittene Zionisten

Der Zionistische Weltkongress tagt zum 39. Mal seit seiner Gründung im Jahr 1897 durch Theodor Herzl. Doch das Treffen droht zum Fiasko für die Organisation zu werden. Die Hintergründe

von Joshua Schultheis  10.11.2025