Großbritannien

Vergessene Helfer

Bei der Buchvorstellung: Fiyaz Mughal Foto: faith-matters.org

Großbritannien

Vergessene Helfer

Eine interreligiöse Organisation veröffentlicht eine Broschüre über Muslime, die während der Schoa Juden retteten

von Frank Diebel  18.10.2010 16:04 Uhr

Die Nazis waren außer sich vor Wut, weil der Gefangene geflohen war, aber Ali Sheqer Pahkaj tat so, als wüsste er von nichts. Sie brachten ihn ins Dorf, stellten ihn an eine Wand und verhörten ihn. Sie wollten wissen, wo sich der geflüchtete Jude versteckte. Viermal hielten sie ihm eine Pistole an den Kopf und drohten, das Dorf in Schutt und Asche zu legen. Aber Pahkaj schwieg. Dann zogen die Deutschen ab.

Der Albaner Ali Sheqer Pahkaj weigerte sich während des Zweiten Weltkriegs erfolgreich, den Nazis einen von ihm versteckten Juden, Yeoshua Baruchowiç, zu übergeben. Für sein selbstloses Handeln verlieh ihm die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem im März 2002 den Titel »Gerechter unter den Völkern«.

Pahkaj ist einer von 70 Muslimen, die von Yad Vashem für die Rettung von Juden während der Schoa geehrt wurden. Nachzulesen sind diese und andere außergewöhnliche Geschichten in der Broschüre The Role of Righteous Muslim Persons, die kürzlich von Fiyaz Mughal, dem Gründer der interreligiösen Organisation Faith Matters in London, herausgegeben wurde.

Vorurteile abbauen »Das Buch dokumentiert, dass es auch in den dunkelsten Momenten der Geschichte viele Beispiele positiver Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Juden gegeben hat.« Dieses Zitat aus dem Vorwort der Broschüre bringt auf den Punkt, worum es Herausgeber Mughal geht: Er möchte Vorurteile abbauen.

Auf 34 Seiten schildert Mughal heldenhafte Rettungsaktionen von Muslimen in Ländern wie Albanien, der Türkei, Kroatien, Bosnien, Algerien, Tunesien und Herzegowina, die jüdische Mitbürger vor den Auswirkungen des Holocausts bewahrten. Ziel des Buches ist es, die Öffentlichkeit über bislang weitgehend unbekannte Taten von mutigen Muslimen zu informieren. Dabei bringt Mughal Erstaunliches zutage: In Albanien zum Beispiel machte die Bevölkerung den Nazis während des Holocausts das Leben schwer, indem sie gemäß der Besa, dem nationalen Ehrenkodex, der die Unterstützung Hilfsbedürftiger gebietet, Juden versteckten oder aus dem Land schmuggelten.

»Die Broschüre wird jetzt mehr denn je gebraucht«, sagt Mughal, »insbesondere weil in der Öffentlichkeit sehr wenig über die Rolle von muslimischen Gemeinden im Holocaust bekannt ist und stattdessen diverse Artikel und Internetseiten immer wieder das falsche Mantra wiederholen, dass Muslime überwiegend negative Ansichten über Juden vertreten«, betont Mughal.

Inspirierend »Es ist wichtig, zu erinnern«, sagt Karen Pollock, Geschäftsführerin des Londoner Holocaust Eductional Trusts, »und von den Taten mutiger Menschen zu lernen, die während des Holocausts ihr Leben aufs Spiel setzten, um anderen zu helfen. Diese Geschichten von Individuen, die sich in große Gefahr begaben, um Juden zu retten, sind inspirierend.«

Die Erlebnisse der tapferen Muslime berühren und ergreifen. Eine der außergewöhnlichsten Geschichten ist die des Ehepaars Moshe und Ela Mandil mit ihren Kindern Gavra und Irena. Die Familie besaß bei Kriegsbeginn ein Fotogeschäft in Jugoslawien. Nach dem Einmarsch der Deutschen im April 1941 flüchteten sie in das von den Italienern besetzte Kosovo, wo Juden besser überleben konnten. Im Sommer 1942 waren die Mandils gezwungen, tiefer nach Albanien vorzudringen und ließen sich in der Hauptstadt Tirana nieder. Eines der örtlichen Fotografiegeschäfte gehörte Neshad Prizerini, der ein ehemaliger Auszubildender von Moshe Mandil war. Der junge Albaner bot Mandil und seiner Familie nicht nur Arbeit, sondern auch einen Unterschlupf an.

Nachdem die Deutschen 1943 Albanien besetzten, schlug Prizerini Mandils Familie vor, sich zu seinen Eltern ins Gebirge zurückzuziehen. Dort versteckten sie sich in einer Scheune. Kurze Zeit später nahmen Prizerinis Eltern eine weitere jüdische Familie auf: Ruzhica und Yosef Ben Yosef sowie seine Schwester Finica aus Tirana. Beide Familien blieben unentdeckt bis zur Befreiung Albaniens im November 1944. 1987 wurden die Veselis als erste Albaner von Yad Vashem als »Gerechte unter den Völkern« geehrt.

Fiyaz Mughal betont: »Es ist die Pflicht von Muslimen und Nicht-Muslimen, für solche Geschichten zu werben, die helfen, Brücken zwischen verschiedenen Gemeinden in Großbritannien und rund um den Globus zu bauen.«

Sydney

Großes Sicherheitsaufgebot nach dem Terror am Bondi Beach

Schwer bewaffnete Polizisten sollen das berühmte Feuerwerk zum Jahreswechsel schützen. Zuvor will die Stadt in einer Schweigeminute der Opfer des Anschlags gedenken

 28.12.2025

Australien

Brandanschlag auf Auto eines Rabbiners in Melbourne

Kurz nach dem Terroranschlag am Bondi Beach geht im Süden Australiens ein Fahrzeug mit »Happy Chanukah!«-Schriftzug in Flammen auf

 25.12.2025

Australien

Mann solidarisiert sich mit Sydney-Attentätern – Festnahme

Bei dem Verdächtigen wurden Einkaufslisten für den Bau einer Bombe und Munition gefunden. Es erging bereits Anklage

 24.12.2025

Meinung

Die Columbia und der Antisemitismus

Ein neuer Bericht offenbart: An der US-Eliteuniversität sind die Nahoststudien ideologisch einseitig und jüdische Studenten nicht sicher. Es ist ein Befund, der ratlos macht

von Sarah Thalia Pines  22.12.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebender Leon Weintraub wird 100 Jahre alt

Dem NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entkam Leon Weintraub durch eine Augenblicks-Entscheidung. Heute warnt er als Zeitzeuge in Schulklassen vor Rechtsextremismus. Am 1. Januar feiert er seinen 100. Geburtstag

von Norbert Demuth  22.12.2025

Frankreich

Jüdische Kinder vergiftet, aber Antisemitismus spielt keine Rolle

Ein Kindermädchen, das ihre jüdischen Arbeitgeber vergiftet hatte, wurde nun in Nanterre verurteilt - allerdings spielte ihr Antisemitismus im Urteil keine Rolle. Das sorgt für Protest

 22.12.2025

Australien

Gedenken am Bondi Beach – Forderung nach Aufklärung

Kerzen, Schweigen, Applaus und Buh-Rufe: Am Strand in Sydney trauern Tausende um die Opfer des Anschlags. Was die jüdische Gemeinde und Australiens Politik jetzt fordern

 22.12.2025

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Sydney

Jüdische Bäckerei schließt wegen Antisemitismus

Nach Jahren der Anfeindungen und dem schwersten antisemitischen Anschlag auf australischem Boden hat eine beliebte jüdische Bäckerei für immer geschlossen

 18.12.2025