Manchester

»Unsere Herzen sind gebrochen«

Premierminister Keir Starmer und seine Frau Victoria besuchten am Freitag den Tatort in Manchester Foto: picture alliance / Sipa USA

Einen Tag nach dem Terroranschlag auf eine Synagoge in Manchester hat die britische Polizei auch die Namen der beiden Todesopfer veröffentlicht. Es handelt sich um Melvin Cravitz (66) und Adrian Daulby (53). Beide wohnten im Stadtteil Crumpsall und waren Mitglieder der dortigen jüdischen Gemeinde, der Heaton Park Hebrew Congregation.

»Ihre Familien wurden informiert, und Familienbeauftragte stehen mit ihnen in Kontakt und bieten ihnen Unterstützung an. Die Obduktionen durch das Innenministerium werden im Laufe des Vormittags stattfinden«, teilte der leitende Ermittler der Polizei von Manchester, Lewis Hughes, mit. Eine Obduktion der Leichen werde am Freitag durchgeführt.

Weiter sagte Lewis: »Obwohl bestimmte Verfahren eingehalten werden müssen, verpflichten wir uns, kulturelle Präferenzen und Sensibilitäten zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass die Wünsche dieser Männer und ihrer Angehörigen respektiert werden.«

Ein Mann bringt Blumen zum TatortFoto: IMAGO/News Images

Abdul Rahimi, seit 20 Jahren Nachbar von Adrian Daulby, sagte dem Sender »Sky News« am Freitag: »Das war einer der besten Menschen, denen ich je begegnet bin. Ein großartiger Nachbar. Er spielte immer mit den Kindern, kaufte ihnen Spielzeug und Bücher. An Weihnachten war er immer der erste, der Geschenke vorbeibrachte.«

Am Donnerstag gegen 9.30 Uhr fuhr ein Mann mit einem Auto in eine Menschenmenge vor der Synagoge und ging anschließend mit einem Messer auf weitere Personen los. Drei weitere Personen liegen wegen schwerer Verletzungen noch im Krankenhaus.

Ein Augenzeuge, der in einem Lieferwagen am Tatort vorbeifuhr, als der Angriff begann, schilderte der BBC seine Eindrücke. »Wir dachten zunächst, es handele sich um einen normalen Autounfall. Dann sahen wir aber eine blutende Person auf dem Boden liegen, bewusstlos, vermutlich tot. Vor dem Auto lag ein Mann auf dem Boden. Dann rief jemand: ›Er ist in der Synagoge‹, und als wir hinschauten, hatte (der Angreifer) ein Messer und versuchte, das Fenster aufzubrechen, um hineinzukommen. Die Polizei warnte ihn zweimal. Er hörte nicht auf, also schossen sie auf ihn. Nach dem ersten Schuss ging er zu Boden und stand wieder auf, also schossen sie erneut auf ihn.«

Attentäter war gebürtiger Syrer

Der Versuch des Attentäter, in die Synagoge einzudringen, misslang auch deswegen, weil Gemeinderabbiner Daniel Walker und andere Beter sich ihm von innen entgegenstemmten. Der Angreifer hatte einen Sprengstoffgürtel um, der laut Polizei aber nicht funktionsfähig war.

Auch seine Identität gaben die Behörden bekannt. Es handelt sich demnach um den 35-jährigen Jihad Al-Shamie. Er sei als kleines Kind aus Syrien nach Großbritannien gekommen und 2006 als Minderjähriger eingebürgert worden.

Es handele sich dabei um den richtigen Namen des Attentäters, sagte Innenministerin Shabana Mahmood im Radiosender LBC. »Jihad« steht für »heiliger Krieg« und »Al-Shamie« bedeutet »der Syrer«. Der Mann wohnte dem »Jewish Chronicle« zufolge in einer Sozialwohnung in Prestwich, einem nur wenige Kilometer vom Tatort entfernten Vorort von Manchester.

Großbritannien trauert um die Opfer des Anschlags auf die Synagoge in Manchester an Jom KippurFoto: picture alliance / empics

Mahmood erklärte, Al-Shamie sei den britischen Behörden nicht als Gefährder bekannt gewesen. Im Zusammenhang mit dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde, den die Polizei als terroristisch einstuft, wurden noch am Donnerstag drei weitere Personen verhaftet, zwei Männer Mitte 30 und eine Frau Mitte 60. Sie sollen möglicherweise zur Tat angestiftet oder den Attentäter unterstützt haben. Ob es sich um eine islamistische Terrorzelle handele, die den Anschlag geplant habe, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, sagte die Innenministerin.

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Großbritanniens Oberrabbiner Ephraim Mirvis äußerte unmittelbar nach Ende von Jom Kippur zu dem Attentat. »Unsere Herzen sind gebrochen«, schrieb Mirvis auf X. »Dies ist der Tag, von dem wir hofften, ihn niemals erleben zu müssen, von dem wir aber tief in unserem Inneren wussten, dass er kommen würde.«

Oberrabbiner: »Erleben seit langem eine Welle des Hasses«

Seit langem erlebe man eine »unerbittliche Welle des Judenhasses auf unseren Straßen, an Universitäten, in den sozialen Medien und anderswo – dies ist das tragische Ergebnis«. Er habe noch am Abend mit dem Rabbiner Walker gesprochen, erklärte Mirvis. »Seine mutige Führung und die Widerstandsfähigkeit seiner Gemeinde sind eine Inspiration für uns alle. Möge das Andenken an die Opfer ein Segen sein und mögen die Verletzten schnell genesen.«

Er bete dafür, so der Oberrabbiner weiter, dass die Tragödie von Manchester bei allen im Land die Entschlossenheit stärke, dem Antisemitismus in all seinen Formen ein für alle Mal entgegenzutreten.

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Politiker aus allen Lagern versprachen verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen den Judenhass. Doch schon am Abend des Anschlags kam es in mehreren Städten des Königreichs erneut zu lautstarken Protesten gegen Israels Vorgehen in Gaza. In Edinburgh besetzten Hunderte den Bahnhof Waverley. Im Londoner Bahnhof Liverpool Street bedrängten Demonstranten Fahrgäste und brüllten ihnen »Free Palestine« zu. Vor der Downing Street – dem Amtssitz von Premierminister Keir Starmer –randalierten Dutzende Menschen; die Polizei nahm mehr als 40 von ihnen fest.

Innenministerin nennt Gaza-Proteste »unbritisch und unehrenhaft«

Im Interview mit »Sky News« nannte Innenministerin Mahmood die Proteste an einem solchen Tag »grundlegend unbritisch und unehrenhaft«. Weiter sagte die Labour-Politikerin: »Man hätte etwas Menschlichkeit zeigen können. Ich bin enttäuscht, dass unserer jüdischen Gemeinde diese Menschlichkeit und Solidarität nicht entgegengebracht wurden.«

Protest gegen Israel vor dem Parlament in WestminsterFoto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Jenen, die darüber nachdächten, an Protesten gegen Israel teilzunehmen, wolle sie zurufen: »Stellen Sie sich mal vor, ein Familienmitglied von Ihnen wird am heiligsten Tag Ihrer Glaubensgemeinschaft ermordet. Wie würden Sie sich fühlen?«

Mahmood, die erst vor wenigen Wochen von Starmer als neue Innenministerin ernannt wurde, forderte, dass der jüdischen Gemeinschaft die Möglichkeit gegeben werde, den Schock über den Anschlag zu verarbeiten. »Halten Sie einen Moment inne, geben Sie den Menschen die Möglichkeit zu trauern ... Nur weil Sie eine Freiheit haben, heißt das nicht, dass Sie sie auch nutzen müssen.«

Starmer besucht Tatort

Der Premierminister und seine Frau Victoria Starmer, die selbst jüdisch ist, besuchten unterdessen den Tatort in Manchester. Starmer hatte noch am Donnerstag verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus versprochen. »Ein abscheulicher Mensch« habe den Terroranschlag verübt, hatte der Regierungschef in einer Videobotschaft an die Nation gesagt.

»Er hat Juden angegriffen, weil sie Juden sind, und Großbritannien angegriffen, weil wir bestimmte Werte vertreten. Viele jüdische Familien kamen ursprünglich als Flüchtlinge in dieses Land, auf der Flucht vor dem größten Übel, das jemals einem Volk zugefügt wurde«, so Starmer in Anspielung auf den Holocaust. Großbritannien müsse immer ein Land sein, das sich zur Wehr setze gegen Hass, sagte Starmer. Es müsse Menschen »nicht nur Zuflucht bieten, sondern auch ein Zuhause.«

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