Österreich

Über den Beckenrand

Das rituelle Tauchbad inspiriert die Programmmacher von Radio Mikwe. Foto: JA

Österreich

Über den Beckenrand

Radio Mikwe sendet täglich 15 Stunden im Internet

von Alexia Weiss  25.05.2010 06:58 Uhr

Das Plätschern des Wassers begleitet die Frau, die vor der Hochzeit zum ersten Mal in der Mikwe untertaucht. Das Plätschern des Wassers begleitet auch den Hörer von Radio Mikwe. Seit März kann der Sender über das Internet empfangen werden. Dahinter verbirgt sich nicht einfach ein Programm mit jüdischen Inhalten. Radio Mikwe ist vielmehr ein Ausstellungsformat, entwickelt für das Jüdische Museum Hohenems von dessen Direktor Hanno Loewy sowie Ausstellungsmacher Hannes Sulzenbacher.

Rein In Hohenems befindet sich die einzige erhaltene historische Mikwe in Österreich, die kürzlich restauriert wurde. Das Museum zeigt dazu derzeit unter dem Titel »Ganz rein!« eine Sonderausstellung zum Thema jüdisches Ritualbad. Der Ort selbst, gerade einmal zehn Quadratmeter groß, erzählt wenig und eignet sich auch nicht für eine entsprechende Darstellung.

»Das Radio allerdings kann viel erzählen von einem Ort, an dem einander früher Frauen vieles, auch sehr Intimes erzählt haben dürften«, erläutert Loewy die Idee. Täglich von 9 bis 0 Uhr wird nun Programm gemacht. Wer einmal hineingehört hat, will so rasch nicht mehr ausschalten. Vieles dreht sich um die Mikwe, aber nicht nur. Wenn man das Bad als Kommunikationsort versteht, kann man hier die verschiedensten Themen behandeln – auch so manches vermeintliche Tabu wie etwa Konversion oder Mischehe.

Übertritt Eine, die sowohl über die Mikwe als auch das Thema Übertritt sprechen kann, ist die Schweizerin Bettina Spoerri. Im Programmformat »Ganz rein – Sprechen über die Mikwe« erzählt sie im Interview mit Hanno Loewy, dass sie beim Tauchbad, mit dem der Giur abgeschlossen wird, von ambivalenten Gefühlen begleitet wurde. »Die Mikwe, da ist man ausgeliefert, und da geht man mit dem ganzen Körper herein und es hat etwas sehr Elementares. Und es hat mich als sehr intellektuelle Frau erschreckt, dieses Ausgeliefertsein.« Das Gefühl, nackt in einem Bassin zu sein, sei aber auch etwas Besonders.

Die Radiomacher haben viele Stimmen zu dem Thema eingefangen, nicht nur aus Österreich, der Schweiz und Deutschland, sondern auch Amerikanerinnen und israelische Frauen werden zitiert. Viele äußern sich kritisch, manche zelebrieren den monatlichen Gang ins Ritualbad nach der Periode.

Hygiene »Ich war noch nie in der Mikwe«, erzählt eine nicht namentlich benannte Wienerin. »Ich finde religiöse Rituale, die einen Zugriff auf den Körper darstellen, unerträglich. Ich lebe ein säkulares Judentum. Und Säkularisierung bedeutet auch Entkollektivierung, Privatisierung des Körpers – und von allem, was mit diesem zusammenhängt, etwa auch Hygiene.«

Eine andere Frau wiederum schildert: »Ich war es gewohnt, meine Mutter in die Mikwe zu begleiten, wenn sie am Schabbat oder an den Feiertagen dorthin ging. Meine Mutter und meine Großmutter gaben mir das Gefühl, eine wunderbare Sache würde auch auf mich warten. Ich werde meinen Töchtern erzählen, wie es ist, die Zeit der Stille in der Mikwe zu spüren. Ich will, dass sie wissen, welche besondere Qualität sie einer Ehe gibt.«

Programm Historische Nachrichten, Reportagen, jüdische Musik, Reiseberichte und Lesungen runden das Programm ab. Zu hören ist dabei beispielsweise Benjamin Stein, der aus seinem Roman Die Leinwand liest. Andere Autoren haben eigens für das Radio Texte zum Thema Mikwe geschrieben, wie Roger Reiss oder Lea Biedermann.

Eine Mikwe muss immer von fließendem Gewässer genährt werden, von einem Fluss etwa oder dem Grundwasser. Hier sieht Loewy eine schöne Parallele zum Internetradio: so wie sich das Wasser weltweit verbinde ist das Internet global zugänglich. Und: Bei der Mikwe gehe es auch um das Verhältnis zwischen Sexualität und Religion sowie um das Verhältnis zwischen Ritual und Freiheit. Mit dem Radio schaffe man nun ebenfalls ein Ritual: Es gebe ein Programm, und dieses könnten alle gemeinsam zu einem bestimmten Zeitpunkt hören. Podcasts werden daher derzeit bewusst nicht angeboten und sollen erst zum Einsatz kommen, wenn manche Sendungen aus dem Programm genommen werden und dann nicht mehr zu hören wären.

Radio Mikwe bleibe erst einmal ein Jahr auf Sendung, sagt Loewy, ein zweites Jahr sei aber sehr wahrscheinlich. Und danach? Vielleicht könne man das Projekt an ein professionelles Radioteam übergeben, dann hätte das Museum »als Brutkasten« agiert. Aber das ist Zukunftsmusik.

www.radiomikwe.at

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025