Kanada

Trudeaus Entschuldigung

»Es kann kaum bezweifelt werden, dass unser Schweigen den Nazis erlaubte, ihre ›Endlösung‹ (...) zu entwickeln«: Kanadas Premierminister Justin Trudeau Foto: imago/ZUMA Press

Kanada

Trudeaus Entschuldigung

Premierminister bittet um Verzeihung für antisemitische Einwanderungspolitik in den 30er-Jahren

von Gerd Braune  15.11.2018 18:38 Uhr

Das Einwanderungsland Kanada hat für eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte um Entschuldigung gebeten. Eine strikt antisemitische Einwanderungspolitik hatte 1939 dazu geführt, dass ein Schiff, das jüdische Flüchtlinge aus Deutschland in Sicherheit bringen sollte, von der damaligen kanadischen Regierung zurückgewiesen wurde. Etwa 250 der rund 900 Menschen an Bord der »MS St. Louis«, die nach Europa zurückkehren mussten, wurden später in den Gaskammern der Nazis ermordet.

»Wir entschuldigen uns bei den 907 deutschen Juden an Bord der MS St. Louis und ihren Familien. Wir entschuldigen uns bei anderen, die den Preis für unser Nichthandeln bezahlten und die wir dem Horror der Todeslager überließen«, sagte Premierminister Justin Trudeau vergangene Woche in einer bewegenden Rede im Parlament in Ottawa an die Adresse von Überlebenden und Nachkommen der Opfer.

MÜTTER »Die Herzlosigkeit der Antwort Kanadas tut uns leid. Wir entschuldigen uns bei den Müttern und Vätern, deren Kinder wir nicht retteten, bei den Töchtern und Söhnen, deren Eltern wir nicht halfen.« Kurz vor der Rede hatte Trudeau in seinem Büro im Parlament Ana Maria Gordon empfangen, die nach offiziellen Angaben einzige heute noch lebende Kanadierin, die damals als Kind auf dem Schiff war und der Schoa entkam.

»Die Herzlosigkeit der Antwort Kanadas tut uns leid«, betonte Regierungschef Trudeau.

Kanadas Einwanderungspolitik, die heute vielen Ländern als Vorbild dient, war 1939 von Rassismus und Antisemitismus geprägt. Dafür steht das berüchtigte Zitat »None is too many« (Selbst keiner ist schon zu viel), das ins Protokoll einer Sitzung von Mitarbeitern des Einwanderungsministeriums aus den späten 30er-Jahren aufgenommen wurde und von einem leitenden Beamten stammt, möglicherweise von Staatssekretär Frederick Blair. Es spiegelt die Politik der damaligen Regierung des liberalen Premierministers William Lyon Mackenzie King wider: Kanada schloss gegenüber den vom Tode durch die Nazi-Schergen bedrohten Juden weitgehend seine Tore.

VISA Es nahm von 1933 bis 1939 nur 4000 bis 5000 deutsche Juden auf, die USA dagegen 200.000. Die St. Louis war eines der letzten Schiffe, die Nazi-Deutschland mit jüdischen Flüchtlingen an Bord verlassen konnten. Das Schiff hatte Mitte Mai 1939 mit 939 Passagieren, die Visa für Kuba hatten, in Hamburg abgelegt. Nach Ankunft in Havanna aber verweigerte die Regierung die Aufnahme der Flüchtlinge.

Vergeblich bemühten sich jüdische Organisationen, den Menschen Zuflucht in den USA oder Kanada zu ermöglichen. Schließlich gelang es dem Kapitän, Großbritannien, Belgien, die Niederlande und Frankreich zu bewegen, die Flüchtlinge aufzunehmen. Doch Glück hatten nur die, die in Großbritannien an Land gingen. Nachdem deutsche Truppen Belgien, die Niederlande und Frankreich besetzt hatten, wurden viele Passagiere festgenommen. 254 von ihnen wurden in den Vernichtungslagern ermordet.

Trudeau sagte, Kanadas Regierung habe »die unschuldigen Opfer von Hitlers Regime« im Stich gelassen.

Trudeau sagte, Kanadas Regierung habe trotz vielfältiger Bitten »die unschuldigen Opfer von Hitlers Regime« im Stich gelassen. Von allen alliierten Ländern habe Kanada zwischen 1933 und 1945 die wenigsten Juden aufgenommen. Hitler habe sehr genau beobachtet, wie ein Land nach dem anderen gegenüber dem Schicksal der Juden Gleichgültigkeit zeigte.

»Es kann kaum bezweifelt werden, dass unser Schweigen den Nazis erlaubte, ihre ›Endlösung‹ (...) zu entwickeln.« Das heutige Kanada sei anders, aber es gebe noch viel zu tun, sagte Trudeau. Stärker als andere Gruppen seien Juden Hasskriminalität ausgesetzt, es gebe weiter Holocaustleugner, und Antisemitismus sei gegenwärtig. Die Entschuldigung Kanadas solle auch sicherstellen, dass die Lehren aus der Vergangenheit nie vergessen würden.

Shimon Koffler Fogel, Leiter des kanadischen Centre for Israel and Jewish Affairs (CIJA), würdigte die »historische Entschuldigung« Trudeaus. »Für viele Holocaust-Überlebende ist die heutige Entschuldigung eine tiefgehende Stellungnahme, dass Kanada eine Entscheidung (...) bedauert, die so viel Schmerz und Verlust verursacht hat.« Seit 1939 habe sich Kanada dramatisch verändert. Man könne stolz sein, dass das Land »eine weltweit führende Kraft beim Kampf gegen Antisemitismus und bei der Aufnahme von Flüchtlingen geworden ist«.

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025