Front National Wahlerfolg

Trotz aller Warnungen

Beschwört öffentlichkeitswirksam, wie sehr sich ihre Partei doch gewandelt habe: Front-National-Chefin Marine Le Pen Foto: dpa

Der Aufstieg des rechtsextremen Front National (FN) beunruhigt die jüdische Gemeinde in Frankreich. »Wir haben diesmal besonders eindringlich davor gewarnt«, sagt Roger Cukierman, Präsident des französisch-jüdischen Dachverbands CRIF.

Allen Warnungen zum Trotz wird der FN künftig wichtige politische Entscheidungen treffen können: Bei den Regionalwahlen am Sonntag hat die Partei von Marine Le Pen ihren größten Erfolg in der Geschichte verbucht. In sechs von 13 Regionen hat sie Sozialisten und die konservativen »Republikaner« überrundet. Kommenden Sonntag wird die Stichwahl entscheiden, wie viele Kandidaten der Partei sich tatsächlich durchsetzen werden.

Ob es auch Juden gibt, die Front National wählen, kann Cukierman nicht sagen. »Ich hoffe, dass jüdische Bürger nicht die Erinnerung an die nationalsozialistischen Gräuel vergessen. Der Front National befindet sich in einer Linie mit Rechtsextremen, mit Kollaborateuren des Nazi-Regimes. Seine ausländerfeindliche Haltung ist mit unseren Werten nicht zu vereinbaren.«

In der Tat hatte 2014 eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop ergeben, dass antisemitische Gedanken unter den FN-Wählern am weitesten verbreitet sind. Der Gründer der Partei, Jean-Marie Le Pen, machte durch geschichtsrevisionistische Äußerungen von sich reden: 1987 bezeichnete er die Gaskammern der Nationalsozialisten als »Detail der Geschichte« – und wiederholte diesen gezielten Affront im vergangenen Jahr. Am Sonntagabend setzte er einen Tweet mit einem Video ab, das den unterlegenen konservativen Kandidaten in der südfranzösischen Region Provence–Alpes–Côte d’Azur (PACA), Christian Estrosi, zeigt, wie er mit orthodoxen Juden tanzt.

Täuschung Auch deshalb haben jüdische Vertreter in den vergangenen Tagen eindringlich davor gewarnt, FN zu wählen. »Wir lassen uns nicht täuschen«, sagt Michèle Teboul, CRIF-Regionalpräsidentin in Marseille. Marine Le Pens Nichte Marion Maréchal-Le Pen hat dort in der Region PACA die Wahlen gewonnen. In ihren Reden, sagt Teboul, betone sie immer die christliche Vorherrschaft. »Wenn die Muslime nicht da wären, würde sie uns Juden ausschließen«, glaubt Teboul. Nicht eine einzige jüdische Stimme dürfe der Front National erhalten.

Allerdings scheint die historisch starke Distanz jüdischer Wähler zum FN gesunken zu sein. In einer Umfrage unter jüdischen Franzosen hatte der Politologe Jérôme Fourquet vom Meinungsforschungsinstitut Ifop herausgefunden, dass rund 13,5 Prozent von ihnen Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2012 ihre Stimmen gegeben haben. Das lag noch immer unter dem nationalen Durchschnitt – aber als unwählbar wie noch vor einigen Jahren scheint der FN unter Juden nicht mehr zu gelten. Vielleicht haben auch die Terroranschläge vom Januar und vom November in Paris der rechtsextremen Partei noch einige Prozentpunkte mehr verschafft.

Ausschlaggebend für den Erfolg der Partei ist der Wechsel an der Spitze vom Vater zur Tochter Marine Le Pen. Die 47-Jährige profitiert davon, sympathischer aufzutreten als ihr oft rüpelhafter Vater und konnte auch aus der europäischen Wirtschaftskrise Kapital schlagen. Hatte die Partei früher ein neoliberales Wirtschaftsprogramm, fordert sie nun, Schlüsselindustrien zu verstaatlichen und die heimische Agrarwirtschaft zu subventionieren. Hetzte Marine Le Pen früher offen gegen den Islam, redet sie nun von einem »laizistischen Staat«. Dies scheint bei der Mittelschicht besser anzukommen als die plumpen Anti-Islam-Parolen ihres Vaters. Trotzdem umgibt sich auch Marine Le Pen mit Straßenkämpfern von neonazistischen Bewegungen.

Petain-Anhänger Die Mitglieder der Partei sind ebenfalls noch die alten: Nationalisten sowie Anhänger des Petain-Regimes und eines kolonialen Großfrankreichs.

Die Partei zeigt zwei Gesichter: In den großen Medien und Nachrichtensendungen hält Marine Le Pen gemäßigte Reden. Sie spricht davon, dass die Pariser Anschläge von Menschen begangen wurden, die sich nur einer Religion bedient hätten, ohne tatsächlich religiös zu sein. In den einzelnen regionalen Verbänden aber hetzen FN-Mitglieder und -Funktionsträger gegen Ausländer und fordern ein radikal atheistisches Land. Ihre früher offen antisemitischen Ausfälle aber hat die Partei unter Marine Le Pen – zumindest in der überregionalen Öffentlichkeit – weitestgehend aufgegeben. Die Tochter profitiert sogar von der antisemitischen Hetze ihres Vaters: Der mediale Aufschrei gibt ihr nur einmal mehr die Gelegenheit, sich von ihm zu distanzieren und öffentlichkeitswirksam zu beschwören, wie sehr ihre Partei sich doch geändert habe.

Für die Historikerin Valérie Igounet hat sich die Partei strategisch dazu entschlossen, den offenen Judenhass ihrer Gründerjahre fallen zu lassen. »Der Antisemitismus hatte die Partei für viele unwählbar gemacht. Das hat Marine Le Pen erkannt und sich davon distanziert.« Der FN habe seine Judenfeindlichkeit durch Islamfeindlichkeit ersetzt, sagt Igounet. Das bringe mehr Wähler und sei gesellschaftsfähiger. Für die Historikerin ist dies aber ein rein formaler Akt. »Marine Le Pen umgibt sich weiterhin mit Revisionisten und Neofaschisten.«

Medienbericht

Katar soll mutmaßliches Missbrauchsopfer von Karim Khan ausspioniert haben

Das Emirat scheint sich in den Skandal um den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs eingemischt zu haben, wie Recherchen nun zeigen

 07.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  07.11.2025 Aktualisiert

Hurrikan Melissa

»Ich habe seit einer Woche nicht geschlafen«

Wie ein Rabbiner vom Wirbelsturm in Jamaika überrascht wurde – und nun selbst Betroffenen auf der Insel hilft

von Mascha Malburg  06.11.2025

Kommentar

Wo Israel antritt, rollt der Ball ins moralische Abseits

Israelische Spieler und Fußballfans werden schon lange dafür diskriminiert, dass sie von anderen gehasst werden.

von Louis Lewitan  06.11.2025

Kommentar

Warum Zürichs Entscheid gegen die Aufnahme von Kindern aus Gaza richtig ist

Der Beschluss ist nicht Ausdruck mangelnder Menschlichkeit, sondern das Ergebnis einer wohl überlegten Abwägung zwischen Sicherheit, Wirksamkeit und Verantwortung

von Nicole Dreyfus  06.11.2025

New York

ADL will Mamdani unter Beobachtung stellen

Die Anti-Defamation League erwartet vom neugewählten New York Bürgermeister nichts Gutes. Jetzt hat die jüdische Organisation angekündigt, man werde genau hinschauen

 05.11.2025

Amsterdam

Wegen IDF-Kantor: Concertgebouw sagt Chanukka-Konzert ab

Die renommierte Musikhalle hat wegen des geplanten Auftritts von IDF-Chefkantor Shai Abramson das alljährliche Konzert abgesagt. Die jüdische Gemeinschaft ist empört und will gegen den Entscheid klagen

von Michael Thaidigsmann  05.11.2025 Aktualisiert

Essay

Mamdanis demokratische Steigbügelhalter

Führende Politiker der Demokraten haben aus Opportunismus die Wahl des Israel-Hassers Zohran Mamdani zum New Yorker Bürgermeister ermöglicht - und so in Kauf genommen, dass aus Worten gegen Israel wieder Gewalt gegen Juden werden könnte

von Menachem Z. Rosensaft  05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025