Europa

Trotz allem ein Gefühl der Sicherheit

Der Kampf gegen Judenhass wurde von den Befragten als oberste Priorität angesehen. Foto: Gregor Zielke

Eine europaweite Befragung von Führungskräften in jüdischen Gemeinden und Organisationen zeigt, dass der ansteigende Antisemitismus als die wichtigste Bedrohung für die Zukunft wahrgenommen wird.

Zum fünften Mal seit 2008 befragte das International Centre for Community Development (ICCD) des American Jewish Joint Distribution Committee (JDC) jüdische Führungskräfte. Äußerten in der ersten Studie noch 16 Prozent die Erwartung, das Problem des Antisemitismus werde in den nächsten Jahren »deutlich zunehmen«, waren es in der im vergangenen Jahr durchgeführten Befragung 28 Prozent.

Der Kampf gegen Judenhass wurde von den Befragten – darunter auch Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – als oberste Priorität für die Gemeinden angesehen. Zwei Drittel aller Befragten glauben nicht, dass der Antisemitismus abnehmen wird. Vor allem in Westeuropa rückt dieses Problem verstärkt in den Mittelpunkt, anders als in einigen osteuropäischen jüdischen Gemeinden.

rückgang Trotz dieser eher pessimistischen Grundhaltung glauben die meisten Teilnehmer der Umfrage überwiegend, dass Europa für Juden auch künftig eine sichere Heimstatt sein kann. Doch auch hier gibt es einen Rückgang: Fühlten sich in der ersten Umfrage 2008 noch 92 Prozent der Befragten sehr sicher oder sicher, sind es aktuell nur noch 78 Prozent. Auch hier gibt es ein Ost-West-Gefälle: 27 Prozent der Führungskräfte in Westeuropa gaben an, sich unsicher zu fühlen, in Osteuropa waren es nur fünf Prozent.

Die neben dem Antisemitismus zweitwichtigste Sorge, die die Führungskräfte umtreibt, ist der fehlende Nachwuchs. Junge Juden müssten besser gefördert und einbezogen werden, um die Entfremdung von Juden mit Blick auf die Gemeinden zu stoppen und damit das Überleben der bestehenden Strukturen zu gewährleisten, fanden die meisten. Jeweils rund zwei Drittel der Umfrageteilnehmer beklagten eine fehlende Erneuerungsfähigkeit der Gemeinden, den mangelnden Einsatz von Mitgliedern in der Gemeindearbeit und schrumpfende Mitgliederzahlen.

Beschränkungen von Brit Mila und Schächten werden als Bedrohung empfunden.

60 Prozent gaben an, dass Beschränkungen von Brit Mila und koscherem Schächten in einigen EU-Ländern eine Bedrohung jüdischen Lebens darstellten; 53 Prozent nannten »interne jüdische Konflikte« als Problemfeld. Zufrieden waren die jüdischen Führungskräfte dagegen anscheinend mit der Hilfe aus dem Ausland: Nur 32 Prozent der Befragten klagten, dass diese nicht ausreichend sei. Auch mit dem religiösen Leben und der Observanz waren mehr als zwei Drittel von ihnen zufrieden.

»Willkommenskultur« Hart getroffen hat die Gemeinden die Corona-Pandemie – vor allem in finanzieller Hinsicht. 61 Prozent sagten, ihre jeweilige Organisation oder Gemeinde habe in dieser Zeit finanzielle Einbußen erlitten. Die Osteuropäer unter den Befragten waren in dieser Hinsicht deutlich stärker betroffen. Für die Zukunft wünschen sich die jüdischen Führungskräfte mit großer Mehrheit eine »Willkommenskultur« in den Gemeinden – gerade auch gegenüber gemischt-religiösen Familien.

72 Prozent der Befragten halten es für den Fortbestand der Gemeinschaft für essenziell, solche Familien in das jüdische Gemeindeleben zu integrieren. Sogar 82 Prozent waren der Meinung, die Gemeinden sollten angemessene Räume und Programme schaffen, um diesem Ziel näherzukommen.

Gibt es bei der Beteiligung von Frauen in repräsentativen Gemeindefunktionen Fortschritte zu verzeichnen, ist das der Studie zufolge hingegen nicht der Fall, was die Einbindung jüngerer Menschen angeht. Nicht einmal ein Zehntel der Befragten sagte, im eigenen Vorstand sei die Hälfte der Mitglieder unter 40 Jahre alt.

besonderheiten Die JDC-Befragung wurde Mitte 2021 online in zehn Sprachen durchgeführt. Insgesamt beteiligten sich mehr als 1050 jüdische Fach- und Führungskräfte in 31 europäischen Ländern daran. Marcelo Dimenstein, der Leiter des ICCD beim Joint Distribution Committee, wies auf einige Besonderheiten in Bezug auf Deutschland hin.

Zwar hätten die hierzulande Befragten in Bezug auf die Prioritäten und zentralen Herausforderungen für die Zukunft jüdischen Lebens weitgehend mit ihren europäischen Kollegen übereingestimmt. »Sie glauben aber noch mehr an die Wichtigkeit einer Stärkung der Beziehungen zwischen den europäischen Juden. Und sie sind überdurchschnittlich optimistisch, was die Zukunft des europäischen Judentums angeht«, sagte Dimenstein dieser Zeitung. Die deutschen Führungskräfte machten sich vor allem hinsichtlich der Demografie der Gemeinden sowie der wachsenden Gewalt gegen Juden Gedanken, so der JDC-Mitarbeiter.

Toronto

20 Mesuot aus Seniorenheim gestohlen

Die Polizei geht von einem Hassverbrechen aus

 09.12.2025

Frankreich

Aus Judenhass Gift ins Essen gemischt?

In Nanterre läuft der Prozess gegen eine 42-jährige Algerierin. Sie wird beschuldigt, während ihrer Tätigkeit als Kindermädchen bei einer jüdischen Familie Lebensmittel und Kosmetika absichtlich mit Seife und Haushaltsreiniger vermischt zu haben

 09.12.2025

Social Media

Jüdischer Politiker im Iran warnt seine Gemeinde         

Der einzige jüdische Abgeordnete im Iran rät seiner Gemeinde, Social-Media-Kanälen mit Israel-Bezug zu entfolgen. Was hinter seiner Warnung steckt

 09.12.2025

Noëmi van Gelder wurde mit deutlicher Mehrheit zur neuen Präsidentin der ICZ gewählt.

Zürich

Israelitische Cultusgemeinde hat neue Präsidentin

Die größte jüdische Gemeinde der Schweiz hat gewählt: Mit Noëmi van Gelder will die Gemeinde ein klares Signal setzen

von Nicole Dreyfus  08.12.2025

Alan Shatter

»Dieses Vorgehen ist nun wirklich idiotisch«

Irlands ehemaliger Justizminister nimmt kein Blatt vor den Mund: Im Interview kritisiert Alan Shatter nicht nur den Boykott des Eurovision Song Contest durch sein Land. Er macht die irische Regierung auch für wachsenden Judenhass verantwortlich

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 05.12.2025

Antisemitismus

Litauen: Chef von Regierungspartei wegen Antisemitismus verurteilt

In Litauen ist der Chef einer Regierungspartei mehrfach durch antisemitische Aussagen aufgefallen. Dafür musste er sich vor Gericht verantworten. Nun haben die Richter ihr Urteil gefällt

 04.12.2025

Ukraine

Alles eine Frage der Herkunft

Wie ein Korruptionsskandal den antisemitischen Narrativen in Russland Vorschub leistet

von Alexander Friedman  04.12.2025

Europa

»Yid Army« im Stadion

Ein neues Buch erklärt, warum Fußballvereine wie Tottenham Hotspur, Austria Wien und Ajax Amsterdam zu »Judenklubs« wurden

von Monty Ott  04.12.2025