Ungarn

Tanzen gegen ein Denkmal

Wollen das Denkmal verhindern: Demonstranten Foto: dpa

Friedlicher geht’s kaum: Etwa 100 Menschen bilden am Montag eine Menschenkette um ein abgeschirmtes Gelände. Einige Passanten spazieren vorbei, mustern die Plakate und schließen sich dem Protest spontan an. Tanzend und lachend versuchen sie nun, bei lauter Musik auf das hier entstehende Denkmal aufmerksam zu machen – unter den strengen Augen der Polizei, die die Demonstranten von der Baustelle abschirmt und filmt.

Der Protest richtet sich gegen ein Denkmal, das aus Sicht der jüdischen Gemeinde Ungarns Rolle im Zweiten Weltkrieg verfälscht: Als Analogie für Ungarn wird hier die Statue des Erzengels Gabriels errichtet, der sich gegen den Angriff des deutschen Adlers wehrt. Ungarn sei demnach für die damaligen Verbrechen, wie der Ermordung von fast einer halben Million Juden, nicht verantwortlich gewesen.

Parlamentswahl Ursprünglich wollte Ungarns Premier Viktor Orbán »nach Ostern« mit Mazsihisz, dem Dachverband der jüdischen Gemeinden, über das umstrittene Denkmal reden. Doch keine zwei Tage nach der Parlamentswahl am 6. April begann der Bau.

Die Dramaturgin und Aktivistin Fruszina Magyar organisiert seitdem den Protest. Sie erinnert sich an den 8. April, als ihr Handy plötzlich klingelte und eine Männerstimme sagte: »Sie bauen.« Innerhalb weniger Stunden mobilisierte die 60-Jährige mehrere Hundert Menschen über Facebook und per Telefon, um den Platz zu besetzen. »Ich war stolz, dass wir das so schnell hingekriegt haben«, sagt sie.

Davor hat auch Zoltán Radnóti größten Respekt. »Wir hatten auf eine demokratische Diskussion gehofft«, sagt der Rabbiner. Doch was die Regierung – entgegen ihrem Versprechen – mit dem prompten Baubeginn signalisierte, sei eindeutig: Das Denkmal steht für Orbán nicht zur Diskussion. »Der Protest scheint der einzige Weg zu bleiben«, sagt Radnóti. »Die Beteiligten brauchen einen langen Atem, und ich hoffe, dass es etwas bringt.«

Seit dem 8. April protestiert Magyar mit ihren Leuten jeden Tag, außer am Wochenende, wenn die Bauarbeiter nicht da sind. So auch vergangene Woche Dienstag. Da seien um drei Uhr nachmittags etwa 50 Polizisten gekommen und hätten sie einzeln an Händen und Füßen weggetragen.

Offener Brief Orbán selbst meldete sich am nächsten Tag in einem offenen Brief zu Wort. »Ich sehe in dem Engel die unschuldigen Opfer und nicht einen in irgendeiner Weise unschuldigen Staat«, schreibt er. Und: Die deutsche Besetzung Ungarns sei nun mal ein Fakt. Es könne also kaum abgestritten werden, dass Deutschland dafür verantwortlich ist, was in Ungarn nach dem Beginn der Besatzung passiert ist.

»Der Brief ist voller Lügen«, sagt Maria M. Kovács, die das Programm für Nationalism Studies an der Central European University (CEU) Budapest leitet. »Hunderttausende Ungarn haben sich freiwillig an den Verbrechen beteiligt, weil sie Deutschlands Pläne unterstützten.« Kovács nimmt am Protest einer anderen Gruppe teil. Sie nennt sich »Living Memorial« und trifft sich regelmäßig neben der Baustelle zu Diskussionen. Auch Anfang der Woche demonstrierten sie wieder, während die von Fruszina Magyar organisierte Menschenkette um das Denkmal tanzte.

Denkmalstreit »Wir haben die vergangenen vier Jahre praktisch auf der Straße verbracht«, erzählt Magyar, die sich nicht erst seit dem Denkmalsstreit gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Der Unterstützung ist sie sich sicher: »Die allermeisten Reaktionen auf unseren Protest sind positiv.«

»Wir werden das Denkmal wohl trotzdem nicht verhindern können«, sagt dagegen einer der Demonstranten enttäuscht. »Wir haben zwar theoretisch viele Unterstützer – aber praktisch sind wir nicht stark genug.« Mit dem prompten Baubeginn hat die Regierung gezeigt, dass das Denkmal kommen wird, um jeden Preis. Bis zum 31. Mai soll die Statue stehen – da hat Orbán Geburtstag.

Ukraine

Mit Tränen in den Augen

Die Weltordnung zerfällt, doch eine sinnvolle Gestaltung des 80. Jahrestags zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist möglich, sagt unser Autor

von Vyacheslav Likhachev  04.05.2025

Österreich

Pita und Krautrouladen

Haya Molcho hat sich im Laufe der Jahre von Wien aus ein Imperium erkocht. Ein Gespräch über Familie, Politik und Balagan in der Küche

von Nicole Dreyfus  04.05.2025

Florenz

Judenretter und Radsportheld

Als Gigant der Landstraße ging Gino Bartali in die Geschichte des Radsports ein. Was der im Jahr 2000 gestorbene Italiener abseits der Rennen leistete, nötigt mindestens ebenso viel Respekt ab

von Joachim Heinz  02.05.2025

Japan

Jüdisch in Fernost

Etwa 1500 Juden sind im Land der aufgehenden Sonne zu Hause. Koscheres Leben ist schwierig. Und sogar hier hat sich seit dem 7. Oktober 2023 einiges verändert

von Eugen El  01.05.2025

Bern

Schweizer Juden reagieren auf Verbot der Terrororganisation Hamas

Deutschland hat die Terrororganisation schon kurz nach dem Angriff vom 7. Oktober 2023 verboten. Die Schweiz zieht jetzt erst nach

 30.04.2025

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025